275.000 Fans beim WM-Finale in Tirol: Es war wie in L‘Alpe d‘Huez
Die Straßenrad-Weltmeisterschaft 2018 in Innsbruck/Tirol ging mit einem Paukenschlag zu Ende. 275.000 Fans flankierten die Strecke, die Veranstalter legten die Latte hoch.
Innsbruck — Es war der erwartete und erhoffte Paukenschlag am Ende einer beeindruckenden Rad-Woche. Das Elite-Rennen der Herren, in dem der spanische Altmeister Alejandro Valverde (38) nach einem Husarenritt durch die „Höll" im Innsbrucker Stadtteil Hötting den Sieg davontrug, verfolgten nicht weniger als 275.000 Zuschauer vom Streckenrand aus.
Und glaubt man den Einschätzungen im Vorfeld, so sollen sich auf der ganzen Welt 150 Millionen Leute vor den TV-Schirmen eingefunden haben, um die Bilder von einem sonnigen Tag in Tirol zu sehen.
Die Szenarien am Streckenrand erinnerten an große Rundfahrten wie die Tour de France, die Einsatzkräfte hatten mit dem begeisterten Publikum alle Hände voll zu tun. Besonders an Hotspots wie dem Anstieg nach Aldrans, wo Tausende Leute Spalier standen, kumulierte die Rad-Begeisterung der Bevölkerung. Lediglich das schwache Abschneiden der Österreicher trübte die Bilanz.
Große Zufriedenheit auch bei der Politik und dem Tourismus. Die WM soll eine Gesamtwertschöpfung von über 31 Millionen Euro für Tirol gebracht haben, rechnete man vor. Die Zimmer waren voll, die Bilder in alle Welt „unbezahlbar", wie Josef Margreiter von der Tirol Werbung erklärte.
Auch bei den Einsatzkräften zeigte man sich hochzufrieden. Große Probleme blieben trotz des Massenansturms der Fans am Sonntag aus. Insgesamt dürften über 500.000 Fans die Rennen in Tirol an der Strecke verfolgt haben. LH Günther Platter sprach in einer ersten Reaktion von einem „Radsportfest der Extraklasse" und lobte die Gastfreundschaft in der Bevölkerung.
„Es war wie L'Alpe d'Huez — nur eben in Tirol"
Um 8 Uhr morgens war die Höttinger Höll noch nicht einmal ein Fegefeuer. Vereinzelt trieben sich Fans der verstorbenen italienischen Radlegende Marco Pantani herum, auch des im Vorjahr verunglückten Michele Scarponi wurde gedacht. Der hatte kurz vor seinem Ableben noch wenige Steinwürfe von der Höll entfernt eine Etappe auf die Hungerburg gewonnen.
Hausbewohner gossen Pflanzen und die Fernseh-Stationen bezogen Position. Der Spannungspegel lag nicht viel höher als das Gefälle im steilsten Stück: bei etwa 28 Prozent.
Was für ein Unterschied zum Nachmittag, kurz nach Mittag musste die „Höll" dichtgemacht werden. „Wir wussten von vornherein, dass die Kapazität bei 3000 bis 4000 Zuschauern liegt", bat die WM-Kommunikationschefin Esther Wilhelm um Verständnis. Eigentlich hätte sie die Fans in der Höll um Geduld bitten müssen, denn die standen sieben Stunden im Schatten und warteten auf den einen kurzen Moment, an dem die Fahrer passierten. Zugegeben: Es war die Entscheidung, die hier fiel.
Und es war wie auch auf der anderen Talseite in Aldrans und Patsch so, dass die Polizei und das Ordnerpersonal längst nicht mehr genügten, um die Zuschauermassen am Streckenrand in Zaum zu halten. Stefan Armellini vom Tiroler Radsportverband, der sich in einem Betreuerauto durch die Menschenmassen kämpfte: „Es war wie L'Alpe d'Huez — nur eben in Tirol." Und den Eindruck gewann man allerorts, etwa beim Stand des heimischen Vereins Union Raiffeisen Radteam Tirol. „Wir wurden förmlich überrannt", lachte der Sportliche Leiter Thomas Kreidl, der mit seiner Gefolgschaft einen Stand aufbaute. Gegen Spenden im Sinne der Nachwuchsarbeit wurden hier Getränke ausgeschenkt, ein Griller durfte nicht fehlen.
Das Rennen war noch nicht bei der Halbzeit, und schon hatte die Masse an der zweiten Kehre nach Aldrans den Bratenduft inhaliert und wenig später allerhand konsumiert.
Vielleicht die einzige Schwäche der WM rund um Innsbruck: Man hatte die Veranstaltung zwar beworben und war selbstbewusst von einer halben Million Gäste ausgegangen, doch an Verpflegung schien nicht jeder gedacht zu haben. Das galt nicht für ausländische Gäste wie Polen, die sich „Kie?basa" schmecken ließen. „Wenn Rafal nicht gewinnt, müssen wir uns selbst unterhalten", erzählte der Koch.
Viele solcher Episoden ließen sich erzählen — etwa von jenen Kolumbianern, die zu Fuß die Olympia-Runde abmarschierten. Oder jene, die regelmäßig durch den Wald im Mittelgebirge hetzten, um die Radprofis nur möglichst oft zu Gesicht zu bekommen.
Am Ende blieb ein Renntag, an dem keinerlei Unfälle oder (alkoholbedingte) Ausfälle zu verzeichnen waren. „So muss Radsport sein", freute sich auch Strecken-Erfinder Thomas Rohregger über seine WM, an die man sich wohl noch lange erinnern wird. Die Latte für Yorkshire (Rad-WM 2019) liegt hoch. Und die Latte Bergen (2017) oder Doha (2016) scheint man übersprungen zu haben ...
Stimmen zur Rad-WM
„Die Rad-WM in Tirol war von einem Geist getragen, der Nationalismus und Gewalt eine klare Absage erteilt. Mich erfüllt es mit Stolz, dass sich unser Land und seine Menschen bei diesem Großereignis einmal mehr als hervorragende Gastgeber präsentiert haben. Mein Dank gilt allen Organisatoren, aber auch den vielen Ehrenamtlichen und Einsatzkräften, die diese WM zu einem Radsportfest der Extraklasse gemacht haben."
Günther Platter, Landeshauptmann
„Der Funke ist übergesprungen. Die WM war ein voller Erfolg. Tirol ist mit der WM endgültig zum Radsportland geworden."
Josef Geisler, LHStv., zuständig für Sport
„Es ist eine tolle Botschaft, die wir in die Welt hinausgeschickt haben. Eine, die zeigt, wie weltoffen und gastfreundlich Innsbruck ist. Und, dass wir eine Sportstadt sind. Für Winter und Sommer."
Georg Willi, Bürgermeister Innsbruck
„Wir sind sehr zufrieden. Es hat alles ganz wunderbar funktioniert. Das liegt auch daran, dass die Zuschauer sehr diszipliniert waren und unseren Anweisungen immer Folge geleistet haben."Markus Widmann, Gesamteinsatzleiter Polizei
„Wir hätten uns keine bessere WM wünschen können. Danke an alle Mitwirkenden! Unser Land hat sich weltmeisterlich von seiner besten Seite gezeigt. Den Schwung dieser Kletter- und Rad-WM 2018 gilt es zu nutzen, um Tirol weiterhin an die Spitze des touristischen Wettbewerbes zu bringen."
Josef Margreiter, Tirol Werbung
„Es sind am Wochenende nicht nur Camper angereist, sondern auch viele Fans mit privaten Fahrzeugen. Weil alles ausgebucht war, sind manche bis nach Seefeld ausgewichen."
Karin Seiler-Lall, Direktorin Innsbruck-Tourismus
„Zwei Jahre Vorbereitungszeit haben sich rentiert. Das befürchtete Verkehrschaos ist ausgeblieben."
Thomas Ebner, Standortmarketing des Startortes Kufstein
„Die Werbung ist perfekt für unsere Region. Das Geld hat sich ausgezahlt. Was ausgeblieben ist, ist der Run auf die Campingplätze."
Markus Kofler, Geschäftsführer des TVB Alpbachtal-Seenland