Literaturland Georgien - „Der erste Russe“: Leider wahre Polit-Satire

Wien/Tiflis (APA) - Der Ausgangspunkt dieser aufregenden Geschichte liegt im 13. Jahrhundert, im Goldenen Zeitalter des mittelalterlichen Ge...

Wien/Tiflis (APA) - Der Ausgangspunkt dieser aufregenden Geschichte liegt im 13. Jahrhundert, im Goldenen Zeitalter des mittelalterlichen Georgiens. Es geht um Gotteslästerung, Widerruf, Kirchenausschluss und um beiläufige Bemerkungen wie „Heutzutage werden Menschen doch so leicht umgebracht...“. Dennoch spielt Lasha Bugadzes Roman „Der erste Russe“ im heutigen Georgien. Und das Tollste: Nichts davon ist erfunden.

Obwohl ein moderner Roman, ist „Der erste Russe“ ein Geschichtsbuch und ein Lehrbuch. Einerseits erzählt es vom unglücklichen Weiterwirken einer längst vergangenen Epoche georgischer Geschichte und von den Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Andererseits ist es ein brillant erzähltes Beispiel für Machenschaften hinter den Kulissen, Absprachen, Drohungen und Stellvertreterkämpfe, die man sonst nur vom Hören-Sagen kennt. Plötzlich steht der Ich-Erzähler selbst im Zentrum, ist Opfer von Missverständnissen, Böswilligkeiten und Propaganda. Und fragt sich: Darf denn das wahr sein?

So ist es Lasha Bugadze ergangen, und genauso so lässt er sein Alter Ego, den 23-jährigen Protagonisten, blauäugig in etwas taumeln, das er bald selbst nicht mehr steuern kann. In der Umbruchszeit, als in Georgien buchstäblich alles möglich ist, Krieg, Bürgerkrieg und Revolution, werkt eine Gruppe junger Journalisten, Dichter und Intellektueller an neuen Projekten. Eine neue Literaturzeitschrift soll den Aufbruch in eine neue Zeit symbolisieren. Eines der jungen Talente liefert eine Erzählung rund um die legendäre Königin Tamar und ihren russischen Ehemann Juri Bogoljubski. Der Jungdichter beschreibt den „ersten Russen“ in Georgiens Geschichte mit satirischem Überschwang als Sodomisten, der es in der Hochzeitsnacht mit einem Huhn treibt.

Die Erzählung wird zwar kaum gelesen, macht dennoch Skandal. Konservative Kirchenkreise hetzen und wiegeln auf, Drohungen gehen ein, Proteste werden organisiert. Es gibt Fürsprecher und Feinde. Vor allem aber gibt es Vaterfiguren: den leiblichen Vater des Dichters, ein rechtschaffener Mann, der stolz auf seinen Sohn ist und den vor allem der Vorwurf schmerzt, er habe diesen schlecht erzogen; den Landesvater, den bereits damals bereits höchst umstrittenen Politiker Eduard Schewardnadse, der angeschlagen ist und nur noch verzweifelte Rückzugsgefechte liefert; den Kirchenvater, den greisen Katholikos-Patriarchen, der sich als die von einem intriganten Klüngel an kirchlichen Würdeträgern umgebene eigentliche Autorität im Land entpuppt.

„Der erste Russe“ ist höchst vergnüglich zu lesen, wechselt souverän Zeiten und Schauplätze, gibt der inneren Zerrissenheit des jungen Dichters, der sich für einen Text entschuldigen soll, der ohne sein Zutun missverstanden wird, ebenso Raum wie den Mechanismen dieses Staates im Chaos. Persönliche Tragödie und politische Katastrophe liegen hier ebenso eng beieinander wie Fragen von privater und gesellschaftlicher Integrität, ohne dass es je bemüht oder pathetisch würde. Im Gegenteil: Der leichte, von Ungläubigkeit über das Geschilderte geprägte, satirische Erzählton macht immer wieder vergessen, dass die handelnden Personen - nicht nur die politische Clique des Landes, auch die halbe Literaturszene wird beim Namen genannt oder darf sich wiedererkennen - ebenso wenig erfunden sind wie die Handlung selbst.

Auch, wenn uns Georgiens jüngere Geschichte und Gegenwart durch „Der erste Russe“ sehr anschaulich nahegebracht wird, sollte man nicht vergessen, dass es dabei um Themen geht, die derzeit überall umkämpft sind: Aufklärung gegen Reaktion, die Freiheit des Geistes und des Wortes gegen Zensur und Meinungsmanipulation, Fundamentalismus und Nationalismus gegen solidarisches Handeln und demokratisches Zusammenleben. All‘ das hat Lasha Bugadze in diesem Selbstporträt des Dichters als junger Mann vereint. Ein erstaunliches Buch. Dringende Empfehlung!

(S E R V I C E - „Der erste Russe“ von Lasha Bugadze, übersetzt von Rachel Gratzfeld und Sybilla Heinze, Frankfurter Verlagsanstalt, 574 Seiten, 26,70 Euro)