Techno in Tiflis - Wie ein Nachtclub die Politik beeinflussen will
Tiflis (APA/dpa) - Es ist einer der beliebtesten Orte in der Kaukasus-Metropole Tiflis. Und vielleicht auch am schwersten zu finden. Der Tec...
Tiflis (APA/dpa) - Es ist einer der beliebtesten Orte in der Kaukasus-Metropole Tiflis. Und vielleicht auch am schwersten zu finden. Der Technoclub Bassiani liegt tief unter der Erde, im Kellergeschoss eines Fußballstadions aus Sowjetzeiten. Wer hier rein will, muss sich wappnen: persönliche Einladung, Gesichtskontrolle, Kameras sind streng verboten.
Das hat einen Grund: Hier sollen die Georgier nicht nur in einem ehemaligen Schwimmbecken ausgelassen tanzen, sondern auch Politik machen. „Das Bassiani ist nicht nur ein Club, sondern allen voran eine politische Bewegung“, sagt die Gründerin Naja Oraschwili der Deutschen Presse-Agentur. „Zu uns kann jeder kommen und sich entfalten. Ob jung oder alt, schwul oder hetero“, sagt Oraschwili. „Diese Freiheit hat man nur an wenigen Orten in unserem Land.“
In der Ex-Sowjetrepublik spürt man seit einigen Jahren Aufbruchsstimmung, vor allem in seiner Hauptstadt. Das Land hat sich rasant in Richtung Westen entwickelt, will irgendwann auch mal Mitglied der EU und Nato werden. Gleichzeitig ist die Gesellschaft tief gespalten. Die junge Generation ist offen, will Fortschritt und eine Nähe zu Europa. Ihr gegenüber steht aber auch die sehr mächtige, konservative georgisch-orthodoxe Kirche. Auf dem Land herrschen Armut und Arbeitslosigkeit, Konflikte mit zwei abtrünnigen Gebieten beherrschen die Tagespolitik.
Es ist ein Land im Umbruch, vieles ist unfertig - ähnlich wie etwa im Ost-Berlin der 1990er Jahre nach dem Fall der Mauer. Das Bassiani wird deshalb auch gerne „das Berghain des Kaukasus“ genannt und in vielen Details mit dem legendären Berliner Club verglichen. In einem Tifliser Stadtteil gibt es unkonventionelle Glasbauten, moderne Gebäude lassen die Millionenstadt visionär wirken. Anderswo fallen Häuser beinahe in sich zusammen, werden lediglich von Stahlpfeilern zusammengehalten. An vielen Fassaden im Stadtzentrum bröckelt der Putz. Gleichzeitig sind die Wohnungen im Inneren renoviert und für Normalbürger kaum noch erschwinglich.
Die Architektur der Stadt, sagt der georgische Schriftsteller Davit Gabunia, stehe symbolisch für den Konflikt zwischen dem autoritären Georgien und dem zwar kleinen, aber immer sichtbarer werdenden liberalen Teil der Gesellschaft. Gabunia schreibt offen über seine Homosexualität, wird dafür angefeindet und gefeiert zugleich. „Tiflis wird immer mehr eine liberale Hipster-Stadt. Viele gesellschaftliche Freiheiten sind hart erkämpft“, sagt der 36-Jährige.
Vor allem seit dem Regierungswechsel 2012 begehrten die Tifliser gegen die restriktive Drogenpolitik und die konservativen Wertvorstellungen des Landes auf. Genau in dieser Zeit entstand das Bassiani, das heute Treffpunkt junger Menschen und der Queerszene ist. „Wir geben den Menschen einen Ort der Zuflucht. Wer uns nur als lauten Technoclub abtut, liegt falsch“, sagt Bassiani-Besitzerin Oraschwili.
Vor wenigen Monaten zeigte sich auch ein wenig die Bedeutung, die der Club auf die unterschiedlichen Gruppen in Georgien haben könnte. Im Mai löste eine dramatische Drogenrazzia im Bassiani eine Solidaritätswelle aus. Spontan gingen Tausende von Georgiern auf die Straße und forderten vor dem Parlament bei einem gemeinsamen Rave Aufklärung. „We dance together, we fight together“, ist seitdem das offizielle Bassiani-Motto, das auch von den T-Shirts der strengen Türsteher prangt.
Ob der Club wirklich die politische Macht hat, wie die Besitzerin es hofft, ist jedoch anzuzweifeln. Das sagt zumindest die georgische Politologin Lela Rechwiaschwili vom Leibnitz-Institut für Länderkunde in Leipzig. „Der Bassiani-Club hat eine wichtige soziale Bedeutung, aber es gibt auch Grenzen“, sagt die Wissenschafterin. Für einen gewissen Teil der Bevölkerung sei er trotz Offenheit nicht zugänglich und sei exklusiv. „Bassiani erzeugt keine Ungleichheiten, sondern ist eine Darstellung der bestehenden Unterschiede“, sagt Rechwiaschwili. Deshalb dürfe man die langfristige Wirkung des Clubs auf die Politik des Schwarzmeerlandes nicht überschätzen.