Schnitzler am Ende: „Des Lebens fünfter Akt“ von Volker Hage

Wien (APA) - Sechs Jahre älter als Arthur Schnitzler, dürfe er erwarten,“bald das Ende vom fünften Akt dieser ziemlich unverständlichen und ...

Wien (APA) - Sechs Jahre älter als Arthur Schnitzler, dürfe er erwarten,“bald das Ende vom fünften Akt dieser ziemlich unverständlichen und nicht immer amüsanten Komödie zu sehen“. Das schrieb Sigmund Freud 1922 dem Dichter, für den er „eine Art Doppelgängerscheu“ fühlte, zu dessen 60. Geburtstag. „Des Lebens fünfter Akt“ nennt Volker Hage seinen Schnitzler-Roman, den er morgen, Dienstag, in Wien präsentiert.

Der deutsche Literaturkritiker hat für sein Buch Schnitzlers umfangreiche Tagebücher als Grundlage genommen und zitiert immer wieder aus ihnen sowie aus dem umfangreichen Brief-Nachlass des unermüdlich Korrespondierenden. Das ist ein riskantes Unternehmen, nicht nur, weil sich heute wohl kaum ein stilistischer Annäherungsversuch unternehmen ließe, ohne unfreiwilliges Schmunzeln zu erzeugen. Doch die stilistische Diskrepanz zwischen Zitaten und dem sie verbindenden Stoff schleift sich für den Leser ein. Und unfreiwillig lächerlich machen wird sich Schnitzler in dem Buch ohnedies noch zur Genüge: Permanent verstrickt er sich in schwierigste Frauen-Beziehungen und verbringt viel Zeit beim Blättern in alten Briefen und Tagebüchern, hat dabei aber keine schöpferische Kraft mehr für neue dichterische Großtaten.

Hage steigt 1928 ein, kurz nach Schnitzlers 66. Geburtstag. „Tod in Venedig“ heißt der erste Teil, und im Zentrum steht das wohl schmerzlichste Ereignis im Leben des berühmten Autors - der Selbstmord seiner geliebten Tochter Lili. Im Alter von 18 Jahren und frisch verheiratet mit einem um vieles älteren Offizier der faschistischen Miliz, erschießt sie sich in der Lagunenstadt. Eine Tragödie für die seit längerem getrennt lebenden Eltern Olga und Arthur, ein Rätsel für den tief betroffenen Vater, der in Lilis Tagebüchern versucht, Antworten für das Unbegreifliche zu finden. Bemerkenswert: Hage darf in seinem Buch erstmals aus Lilis im Literaturarchiv Marbach unter Verschluss gehaltenen Aufzeichnungen zitieren.

Der zweite Teil des Buches („Zeppelin über Wien“) spielt 1928/29, der dritte („Flucht in die Finsternis“) in Schnitzlers Todesjahr 1931. Und bald stellt sich eine Art Routine der letzten Jahre ein: Obwohl Schnitzler die größte Mühe hat, seine privaten Verhältnisse unter Kontrolle zu halten und die Begehrlichkeiten der auf eine Rückkehr in die Villa in der Sternwartestraße drängenden Ex-Frau Olga sowie die Eifersucht seiner Lebensgefährtin Clara einzudämmen, verstrickt er sich immer wieder in neue Beziehungen.

Geschmeichelt von der offenbar ungebrochenen Anziehungskraft auf junge Frauen empfängt er Verehrerinnen und Übersetzerinnen, nicht selten bedauernd, nicht mehr über die Virilität und Agilität von einst zu verfügen. Von der einen lässt er sich liebend gerne von ihren neuesten Affären berichten, mit der anderen tauscht er die glühendsten Briefe aus. Dass Schnitzler jenseits aller sexuellen Affären Frauen auch als Gesprächspartnerinnen mehr schätzte als Männer, daran lässt Hage in seinem Buch keinen Zweifel.

Für den melancholischen Grundton des Buches, das deutlich stärker auf den tief zerrissenen Menschen Schnitzler konzentriert ist, als die Verlagswerbung suggeriert („Ein faszinierendes Bild des kulturellen Lebens in Wien am Vorabend des Nationalsozialismus“), sorgt auch die manische Archiviersucht des Dichters, der seinem nachlassenden Gedächtnis immer wieder nicht nur in Sachen Werkbiografie, sondern auch in Sachen Liebesleben durch Recherchen in alten Tagebüchern und Briefen auf die Sprünge zu helfen sucht. „Es war jedes Mal wie eine kleine Expedition. Und wozu hatte man eine Vergangenheit, wenn man sie nicht hin und wieder besuchen konnte?“

Zu recht vermutet er, dass er gerade mit seinem Drang zum unermüdlichen Dokumentieren ein besonderes Dokument seiner Zeit geschaffen hatte. 7.797 Manuskriptseiten haben seine im Nachlass erhaltenen und später in zehn Bänden herausgegeben Tagebücher umfasst, schreibt Hage in seinem „Abspann“. Wem dies ein wenig zu viel ist, dem kann „Des Lebens fünfter Akt“ bedenkenlos empfohlen werden. Ob als Ersatz- oder Einstiegsdroge, muss dann jeder für sich entscheiden.

(S E R V I C E - Volker Hage: „Des Lebens fünfter Akt“, 318 Seiten, Luchterhand Verlag, 20,60 Euro; Buchpräsentation am Di., 9.10., 19.30 Uhr, Hartliebs Bücher, Wien 18, Währinger Straße 122)