Katalonien - Front der Unabhängigkeitsgegner bröckelt

Barcelona/Madrid (APA) - Es waren damals ungewöhnliche Bilder. Rund eine Million Menschen ging am 8. Oktober 2017 auf die Straßen. Doch ausn...

Barcelona/Madrid (APA) - Es waren damals ungewöhnliche Bilder. Rund eine Million Menschen ging am 8. Oktober 2017 auf die Straßen. Doch ausnahmsweise protestierten sie nicht für, sondern gegen die Abspaltung Kataloniens von Spanien und für die Einheit des Landes.

„Das war ein historischer Tag in Katalonien. Zum ersten Mal protestierten die Katalanen in Massen gegen den Unabhängigkeitsprozess und stellten damit unter Beweis, dass die Gesellschaft tatsächlich gespalten ist. Den Separatisten gehörte plötzlich nicht mehr alleine die Straße“, erinnert sich der katalanische Politologe Oriol Bartomeus.

„Wir sind Katalanen, wir sind Spanier“ schallte es heute vor einem Jahr durch Barcelonas Innenstadt. Neben der Katalanischen Zivilgesellschaft (SCC), einer anti-separatistischen Bürgerbewegung, hatten insgesamt 27 Parteien und Bürgerplattformen unter dem Motto „Es reicht! Stellen wir wieder die Vernunft her“ zum Protestmarsch aufgerufen.

Vertreter von Bürgerbewegungen und sämtlicher Parteien, die sich für die Einheit Spaniens einsetzen, führten den Demonstrationszug an. „Nationalistische Passion kann gefährlich werden, wenn sie in Fanatismus umschlägt. Doch es braucht schon mehr als eine separatistische Konspiration und Puigdemonts Staatsstreichversuch, um die spanische Demokratie zu zerstören“, erklärte der spanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa auf der Abschlussveranstaltung des Protestmarsches.

„Die Veranstaltung war damals wichtig. Sie zeigte, dass es in Katalonien tatsächlich eine schweigende Mehrheit gab, die aber nicht so mobilisiert war wie die Unabhängigkeitsbefürworter, die zudem finanzielle und logistische Hilfe von der separatistischen Regionalregierung erhält“, so Bartomeus im Gespräch mit der APA. Die Unabhängigkeitsgegner wurden geeint durch die Erkenntnis, dass die Separatisten nach dem verfassungswidrigen und von Polizeigewalt überschatteten Unabhängigkeitsreferendum in der Woche zuvor wirklich ernst machen würden, so der Politologe.

Der damalige Regionalpräsident Carles Puigdemont hatte gegen den Willen Madrids und trotz des Verbots durch das spanische Verfassungsgericht am 1. Oktober ein illegales Unabhängigkeitsreferendum durchführen lassen, bei dem sich 90 Prozent für die Abspaltung aussprachen. Obwohl aber nur 42 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen, sah Puigdemont sich beauftragt, die Unabhängigkeit einzuleiten.

Von der damaligen Einheit und Mobilisierungskraft der Unabhängigkeitsgegner ist ein Jahr später aber kaum noch etwas zu sehen. Die katalanische Zivilgesellschaft rief am Sonntag zum Gedenktag an den Massenprotest nur noch zu einer kleinen Veranstaltung in einem Hotel in Barcelona auf, zu der nur knapp 500 Personen kam.

Albert Rivera, Chef der anti-separatistischen liberalen Ciudadanos-Partei, der ein Jahr zuvor noch an der Seite von Vertretern der katalanischen Sozialisten und Konservativen marschierte, machte parallel sogar eine Gegenveranstaltung. Auf dem Sant Jaume Platz vor dem Gebäude der katalanischen Regionalregierung versammelte er nur knapp 1.000 Personen. Er forderte alle Unabhängigkeitsgegner zur Einheit auf. Paradoxerweise wetterte er aber eigentlich nur gegen die Katalonien-Politik des neuen sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez, der die Katalanen, die sich auch als Spanier fühlen, im Stich lasse, indem er die separatistische Regionalregierung nicht daran hindere, weiterhin die Unabhängigkeit vorzubereiten.

Unterdessen versprach auch Spaniens konservativer Oppositionsführer Pablo Casado (PP), seine Volkspartei werde Katalonien unter den aktuellen Bedingungen sofort wieder unter Zwangsverwaltung stellen, sollte man die Neuwahlen gewinnen und wieder an die Macht kommen.

Sanchez Minderheitsregierung wackelt - auch weil die separatistischen Parteien und die Regionalregierung von Quim Torra ihn unter Druck setzen, den Katalanen endlich ein Selbstbestimmungsrecht zu gewähren oder ihm seine Regierungsstabilität zu nehmen. Sanchez ist im Parlament von den Stimmen der beiden separatistischen Parteien aus Katalonien abhängig, mit denen er im Juni auch die Vorgängerregierung des Konservativen Mariano Rajoy per Misstrauensvotum an der Macht ablösen könnte.

In dieser Phase und mit möglichen Neuwahlen am Horizont bröckelt nun auch die Einheit der sogenannten verfassungskonformen Front gegen die separatistischen Strömungen in Katalonien. Doch der Richtungs- und Machtstreit unter den separatistischen Parteien führt heuer zu heftigen Grabenkämpfen und Rissen innerhalb des Separatistenblocks, die am 1. Oktober dennoch eine Million Menschen zu einem Massenprotest für die endgültige Einführung der katalanischen Republik versammeln konnten.