Mitterers „Vomperloch“ - Licht auf die Höhlen-Hölle
Innsbruck (APA) - Felix Mitterer hat erneut Geschichte geschrieben. Diesmal nicht Fernseh- oder Theatergeschichte, sondern etwas größeres: Z...
Innsbruck (APA) - Felix Mitterer hat erneut Geschichte geschrieben. Diesmal nicht Fernseh- oder Theatergeschichte, sondern etwas größeres: Zeitgeschichte. Mit seinem Deserteursstück „Vomperloch“, das Sonntagabend in den Innsbrucker Kammerspielen umjubelte Uraufführung feierte, bewies er, dass dargebrachte Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit jeden Text, jede Handlung und Inszenierung überragen können.
„Vomperloch“ - ein literarischer Gedenkstein, den tausende reale nicht ersetzen könnten. Eine Würdigung für die Mutigen, die sich verweigerten. Felix Mitterer wirft ein Licht auf jene, die zu lange im Dunkeln standen. Auf jene (vorwiegend einheimischen) Wehrmachtssoldaten, die im Orkan des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte, zwischen Sommer 1943 und Kriegsende 1945, sich sich diesem verweigerten. Auf die Deserteure des Nazi-Regimes, die in ein abgeschiedenes, unwirtliches und unzugängliches Tiroler Seitental flüchteten - und dort in einer Art Höhlenlager dem Ende des Horrors entgegenvegetierten.
„Desertion galt damals als Schande, galt auch nach dem Krieg als Schande, wird immer mit Schande behaftet sein. Ich habe dieses Stück mit der Intention geschrieben, die damaligen, heutigen und zukünftigen Deserteure von dieser Schande zu erlösen. Es wird mir nicht gelingen, aber einen Versuch ist es wert“, sagte Mitterer im Vorfeld der Uraufführung. Der Versuch war es wert - und wenn Theater wirklich die Kraft hat, zu verändern, dann wird aus dem „Nicht gelingen“ ein Gelingen.
Die Basis dafür wurde Sonntagabend gelegt. Und diese gründete zuallererst darauf, dass das Stück überhaupt auf die Bühne gebracht wurde. Diese schiere Grundvoraussetzung für alles Theater - hier bildete es das wesentliche Erfolgskriterium. Und seine aufwühlende und berührende Wirkung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es quasi „unter uns“ spielt. Der Wahnsinn des Weltkrieges - er wurde allgemeingültig aufgeführt, aber gleichzeitig auf das Tirolerische heruntergebrochen. Der Krieg, die Not, das Elend - alles ganz nah. Starker Dialekteinschlag und wiederholte Ortsbezeichnungen taten ihr Übriges und holten den oft abstrakten Schrecken in die damalige, heimische Realität.
Die Handlung des Stücks zeichnete Mitterer stringent-genial - angereichert von Schilderungen von Nachkommen der Deserteure. Der Autor ließ nicht nur holzschnittartige einheimische Figuren vorkommen, sondern „schickte“ Menschen unterschiedlichster Herkunft, ideologischer Verortung, Einstellung zum Nationalsozialismus und Motiven für Flucht und Weigerung des „Dienstes am Führer“ in das „Vomperloch“. Sechs an der Zahl: Den Bauernsohn und desertierten SS-Mann Franz, den Landarbeiter Erich, den Priester David, den Kommunisten und Eisenbahner Hans, die Jungbäuerin Martha und den polnischen Zwangsarbeiter Jan.
Sie alle sagten sich vom Horror los - und blieben doch nicht nur physisch, sondern auch psychisch Gefangene ihrer selbst und der Umstände. Mitterer und der für die Inszenierung verantwortliche Thomas Krauß zeichneten das „Vomperloch“ so, wie es überliefert wurde: nicht als sehnsüchtig erwarteten Zufluchtsort, sondern maximal als Stätte flüchtiger Atempausen, in die aber stets die Angst vor dem Entdeckt-Werden, der (mutmaßliche) Verrat, die menschliche Verrohung, das Misstrauen und die persönlich-ideologische Verbohrtheit Einzug halten. Nur das wohl im tiefsten Innersten verankerte „Ja“ zum Leben und Überleben ließ sie all dies und die widrigsten äußeren Gegebenheiten wie Kälte und Hunger überstehen. Mitterers „Vomperloch“ - es ist vor allem auch ein Überlebensstück.
Im Zentrum der jähzornige SS-Mann Franz, beeindruckend und auch körperlich aufopferungsvoll gespielt von Stefan Riedl. Der Nazi-Ideologie nicht abschwörend, aber dem eigenen Hemd doch näher seiend, brüllt, poltert, kommandiert und verzweifelt er sich durch die Zeit im Lager. Bekommt es nacheinander mit den fünf „Gästen“ zu tun. Jeder Neuankömmling bedeutet zusätzliches Konfliktpotenzial, das Rohe dominiert - trotz einiger besinnlicher Momente wie weihnachtlichem Gesang vor der Höhle.
Mitunter Fliegeralarme fantasierend, Nazi-Lieder anstimmend, an der Fahnenflucht zweifelnd - „Ich habe dem Führer den Eid geschworen und gebrochen“ - bleibt Franz ein Gebrochener, der sich mit letzter Kraft am Leben hält. Großartig auch Johannes Gabl als Eisenbahner Hans, mit dem sich Franz ideologische Wort-Scharmützel liefert. Eindringlich die Szenen rund um Marthas „Geständnis“ gegenüber ihrem Schwager Franz, von dem polnischen Zwangsarbeiter Jan ein Kind zu erwarten. „Rassenschande“ schmettert ihr Franz entgegen und muss mit körperlicher Gewalt zurückgehalten werden. Tumultartige Szenen, vor die Köpfe gehaltene Gewehre, sexuelle Übergriffe an Martha - das „Vomperloch“ als Ort, vor dem auch der menschliche Abgrund nicht Halt macht. Das Stück endet mit einem Schuss. Die Eltern von Franz nähern sich dem Versteck, ein „Der Krieg ist aus“ ertönt - doch Franz erkennt sie nicht und glaubt, Gestapo-Leute suchten das „Vomperloch“ heim.
Nicht überinszeniert, das Bühnenbild mit Felsen, Bäumen und Höhle wohltuend im Hintergrund bleibend - „Vomperloch“ ist eine schnörkellos-runde Sache. Auch gegenwartsbezogene politische Einsprengseln bleiben - richtigerweise - großteils ausgespart. Sie würden nur die Dimension des Themas unterminieren. Lediglich Jörg Haiders Ausspruch von Österreich als „ideologische Missgeburt“ findet Eingang.
„Für mich ist jeder Deserteur, der nicht den Feind erschießen geht, ein Held. Und ist dennoch verachtet seit der Antike bis ans Ende der Menschheit“, meinte Mitterer desillusionistisch. Mit „Vomperloch“ erfüllte er die Illusion mit realem Leben. Einer der großen Würfe seiner Karriere.
(S E R V I C E - Felix Mitterer: „Vomperloch“, Inszenierung: Thomas Krauß, Bühnenbild und Kostüme: Helfried Lauckner, Licht: David Seebacher, Dramaturgie: Christina Alexandridis. Mit: Stefan Riedl - Franz, Christoph Schlag - Erich, Fabian Schiffkorn - David, Johannes Gabl - Hans, Ulrike Lasta - Martha, Ingo Paulick - Jan. Nächste Vorstellungstermine: 10., 11., 13., 19., 25. Oktober. Ticket-Hotline: 0512520744 , www.landestheater.at. Das Stück gibt es bereits als Taschenbuch im Haymon Verlag - Felix Mitterer: „Vomperloch. Ein Deserteursstück“, EUR 9,95, ISBN 978-3-7099-7906-8, 96 Seiten, Paperback)