Was bleibt von Jörg Haider? Das Erbe des Volkstribuns
Zehn Jahre nach dem Tod Jörg Haiders hat das von ihm gegründete BZÖ keine Relevanz mehr. Doch sein rechtsnationaler Populismus ist mittlerweile in Europa salonfähig.
Von Michael Sprenger
Wien – Knapp fünf Monate nach seinem Unfalltod war Jörg Haider zumindest in Kärnten noch einmal allgegenwärtig. Seine Epigonen vom BZÖ verstanden es, die Landtagswahl zu einer Ehrerbietung für Jörg Haider umzufunktionieren. Die Mehrheit der Kärntner Bevölkerung kondolierte in der Wahlzelle noch einmal ihrem Landeshauptmann. Das BZÖ („Bündnis Zukunft Österreich“) gewann die Wahl.
Doch von nun an begann der Mythos zu verblassen. Sein politisches Erbe löste sich auf, das von Haider gegründete BZÖ ist längst außerhalb der politischen Wahrnehmung angesiedelt. In Kärnten ist man noch immer dabei, den aus seinem Größenwahn entstandenen Scherbenhaufen zu beseitigen. Die Pleite der Hypo-Alpe-Adria-Bank führte das südliche Bundesland an den Rand des Bankrotts. Politische Weggefährten mussten auf der Anklagebank Platz nehmen. Die Abrechnung der Bevölkerung folgte auf dem Fuß. Von 45 Prozent Wähleranteil im Jahre 2009 stürzte die Partei auf unter 17 Prozent ab.
In Kärnten ist die Rückkehr zur politischen Normalität gelungen. Landeshauptmann Peter Kaiser konnte die Machtstellung der SPÖ weiter ausbauen. Die dieser Tage erhobene Forderung des verbliebenen Restes des BZÖ, den Neuen Platz in Klagenfurt in Jörg-Haider-Platz umzubenennen, wurde von der Öffentlichkeit nicht einmal mehr ignoriert.
Was bleibt also von Haider – zehn Jahre nach seinem Unfalltod? Jedenfalls ist sein Name bis heute mit dem Rechtspopulismus eng verbunden.
Jörg Haider verstand sich nach seiner Wahl zum FPÖ-Parteiobmann als Volkstribun zu inszenieren. Er schaffte es, die FPÖ zugleich als bürgerliche Alternative und als bessere Arbeiterpartei darzustellen. Das Patentrezept war für ihn, Schwarze und Rote als Vertreter verkrusteter Altparteien darzustellen, denen es nur um Proporz und Macht geht. Er nahm die Rolle des Provokateurs ein, stellte sich bewusst außerhalb des Parteienestablishments und fand in der großen Koalition einen idealen Nährboden für den Aufstieg der FPÖ. Der politische Treppenwitz dabei – erst Haiders Wahl zum Parteiobmann führte nach einer 20-jährigen Unterbrechung zu einer Neuauflage der großen Koalition.
Die Blauen segelten unter ihrem neuen Chef ab 1986 auf einem rechtspopulistischen Kurs. Dabei wurde die Spaltung der Gesellschaft nicht nur in Kauf genommen, sondern mit einer Anti-Ausländer-Politik und einer Kehrtwende in der Europafrage bewusst herbeigeführt.
Haider träumte von der Dritten Republik, hatte wenig Berührungsängste mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, verhöhnte den Rechtsstaat, drohte Journalisten und sah sich als Sprachrohr des kleinen Mannes.
Bei der Nationalratswahl 1999 verbuchte die FPÖ mit 27 Prozent der Stimmen ihren größten Erfolg. Zuvor von der ÖVP außerhalb des Verfassungsbogens angesiedelt, besiegelten Wolfgang Schüssel und Jörg Haider ein schwarz-blaues Bündnis. Bundespräsident Thomas Klestil wurde im Zuge der Regierungsverhandlungen von Schüssel und Haider vorgeführt. Die Koalition zwischen FPÖ und ÖVP konnte er trotz seines Mienenspiels nicht verhindern. Obwohl die FPÖ knapp vor der ÖVP zweitstärkste Partei wurde, konnte Schüssel mit Hilfe Haiders nach 30 Jahren erstmals für die ÖVP wieder den Kanzler stellen.
Die EU reagierte mit Sanktionen gegen Schwarz-Blau. Zwei Jahre später rief Schüssel Wahlen aus, die FPÖ stürzte auf zehn Prozent ab. In der FPÖ regte sich fortan Widerstand gegen Haiders Wankelmut. Dieser führte 2005 zur Parteispaltung.
Doch nicht die FPÖ verschwand von der politischen Bildfläche, wie damals vielfach vorhergesagt, sondern das von Haider gegründete BZÖ. Heinz-Christian Strache wurde zum besseren, glaubwürdigeren Populisten. 2016 war die FPÖ wieder in allen internationalen Gazetten. Bei der Bundespräsidentenwahl erreichte Norbert Hofer 46 Prozent. Im Vorjahr kletterte die FPÖ bei der Nationalratswahl auf 26 Prozent. Zehn Jahre nach Haiders Tod ist wieder eine rechtskonservative Regierung an der Macht. Doch niemand in Europa zuckt mehr die Schultern. Der Rechtspopulismus ist längst Mainstream. Zwischen Schweden und Italien feiern all diese Parteien mit Haiders politischen Zutaten Ausländerfeindlichkeit und Europaskepsis Erfolge. Die Flüchtlingskrise kommt ihnen dabei allen zupass.
Eine politische Chronologie:
Innsbrucker Parteitag. Am 13. September 1986 gewann Jörg Haider mit Hilfe des deutschnationalen Flügels eine Kampfabstimmung gegen Norbert Steger und wurde FPÖ-Obmann. SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky kündigte daraufhin die Koalition mit der FPÖ auf.
Aufstieg in Kärnten. Der gebürtige Oberösterreicher fand in Kärnten den Boden seines Aufstiegs und seiner Hausmacht. Er inszenierte sich fortan als Stimme des kleinen Mannes. 1989 wurde er nach einem Plus der FPÖ von 13 Prozent (mit Unterstützung der ÖVP-Abgeordneten) erstmals zum Landeshauptmann von Kärnten gewählt. Nach seinen Aussagen über die „ordentliche Beschäftigungspolitik" im Dritten Reich wurde er 1991 nach einem Misstrauensantrag als Landeshauptmann abgewählt.
Rückkehr in den Nationalrat. Nach seiner Abwahl in Kärnten wurde Haider wieder Klubobmann der FPÖ im Parlament. Die Partei konnte in der Folge bei einer Reihe von Landtagswahlen deutliche Zugewinne verzeichnen. Nach dem Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst" kam es zur Abspaltung des liberalen Flügels von der FPÖ. Das Liberale Forum wurde gegründet.
FPÖ als neue Volkspartei. 1999 wurde die FPÖ stimmenstärkste Partei in Kärnten. Haider wurde zum zweiten Mal zum Landeshauptmann gewählt. Bei den Nationalratswahlen im selben Jahr wurde die FPÖ zweitstärkste Partei. Haider machte den Wahlverlierer, ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, zum Kanzler, er blieb in Kärnten.
Parteispaltung. Nach einem Zerwürfnis mit der Wiener FPÖ unter Heinz-Christian Strache kam es 2005 zur Parteispaltung. Haider gründete das BZÖ.
Haiders Rückkehr und Tod. Bei der Nationalratswahl 2008 führte Haider das BZÖ über die 10-Prozent-Marke. In der Nacht zum 11. Oktober 2008 kam der stark alkoholisierte Haider bei einem Verkehrsunfall ums Leben.