Recherchenetzwerk: Zweiten Verdächtigen im Fall Skripal identifiziert

London (APA/AFP) - Neue Recherchen von Investigativ-Journalisten zum Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal scheine...

London (APA/AFP) - Neue Recherchen von Investigativ-Journalisten zum Giftanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal scheinen auf ganzer Linie den Angaben des Kreml zu widersprechen: Das Recherchenetzwerk Bellingcat aus Großbritannien deckte nach eigenen Angaben die Identität des zweiten Verdächtigen auf, den Moskau als Zivilisten bezeichnet hatte.

Tatsächlich handle es sich um den Militärarzt Alexander Jewgeniewitsch Mischkin, der beim russischen Militärgeheimdienst GRU arbeite und 2014 die höchste russische Auszeichnung erhalten habe, erklärte Bellingcat am Dienstag.

Skripal und seine Tochter Julia waren im März in der südenglischen Stadt Salisbury durch das Nervengift Nowitschok schwer verletzt worden und nur knapp dem Tod entronnen. Im September nannte die britische Polizei zwei Russen als Verdächtige.

Einen der beiden Männer hatte Bellingcat bereits Ende September als den GRU-Mitarbeiter Anatoli Tschepiga identifiziert. Am Montag veröffentlichte das Netzwerk dann erste Informationen über seinen mutmaßlichen Komplizen Mischkin: Er wurde demnach auf einer Elite-Militärakademie zum Militärarzt der russischen Marine ausgebildet. Während des Studiums sei er vom Geheimdienst GRU angeworben worden.

Um 2009 herum sei er nach Moskau gezogen und habe neue Papiere unter dem Decknamen Alexander Petrow bekommen - unter dem Namen Petrow hatte die britische Polizei nach dem Mann gefahndet. Als seine Meldeadresse sei zwischenzeitlich das GRU-Hauptquartier in Moskau angegeben gewesen.

Bellingcat zeigte unter anderem den Scan eines mutmaßlich echten Personalausweises Mischkins aus dem Jahr 2001. Demnach wurde er am 13. Juli 1979 in einem Dorf in der Region Archangelsk im Nordwesten Russlands geboren. Zwischen 2011 und 2018 sei er unter seinem Decknamen Petrow viel gereist, unter anderem in die Ukraine und in die von Moldau abtrünnige Provinz Transnistrien.

Bellingcat-Gründer Eliot Higgins und sein Mitstreiter Christo Grozev sagten in London, Mischkin sei in der Ukraine und in Transnistrien an Undercover-Einsätzen beteiligt gewesen. 2014 habe er zudem an Militäreinsätzen in der Ostukraine teilgenommen und im Herbst desselben Jahren von Präsident Wladimir Putin persönlich den Ehrentitel „Held der Russischen Föderation“ erhalten.

Laut Bellingcat soll auch Mischkins mutmaßlicher Komplize, der 39-jährige Oberst Tschepiga, diese Auszeichnung erhalten haben - vermutlich ebenfalls von Putin persönlich. Das Recherchenetzwerk gibt an, seine Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen bezogen und außerdem Aussagen von Bekannten Mischkins vorliegen zu haben.

Die britische Regierung macht Putin für den Anschlag auf Skripal verantwortlich, der Kreml wies von Anfang an jegliche Verantwortung empört zurück. Zwei Wochen nachdem die britische Polizei die beiden Russen zur Fahndung ausgeschrieben hatte, hatten sich die beiden gesuchten Männer im russischen Fernsehen als unbescholtene Touristen präsentiert. Auch Putin bezeichnete sie als Zivilisten.

Bei dem Fernsehauftritt gaben sie unter anderem an, sie hätten in Salisbury lediglich „die berühmte Kathedrale“ besichtigen wollen. Als Grund für diesen Auftritt vermutet der britische Geheimdienst unter anderem, Putin habe die beiden Männer durch eine öffentliche Demütigung dafür bestrafen wollen, dass sie bei ihrem Auftrag gescheitert waren.

Vergangene Woche hatte Putin die Spekulationen über eine Verwicklung des Kreml selbst weiter angeheizt, als er Skripal öffentlich als „Vaterlandsverräter“ und „Dreckskerl“ bezeichnete.

Der Giftanschlag führte zu einer schweren Krise zwischen Russland und dem Westen, beide Seiten veranlassten die Ausweisung dutzender Diplomaten. Zuletzt wurde international zudem scharfe Kritik an den Aktivitäten des GRU laut. Mehrere Regierungen - darunter London und Berlin - machten den Geheimdienst für Cyberangriffe auf staatliche Einrichtungen und weitere Institutionen verantwortlich.