Experte: „Wesentliche Player“ in Brasilien geschlossen für Bolsonaro

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~ --------------------------------------------------------------------- KORREKTUR-HINWEIS In APA021 vom 10.10.2018 muss es im dritten Satz des zweiten Absatzes richtig heißen: Aber es sei „ganz klar, dass ihm eine Diktatur lieber ist als eine Demokratie, wo die ‚Falschen‘ regieren“ (Und nicht: „eine Demokratie lieber als eine Demokratie“). Außerdem ist Andreas Novy nicht mehr Obmann der Grünen Bildungswerkstatt. --------------------------------------------------------------------- ~ Wien (APA) - Alles andere als ein Sieg des Rechtsaußen-Kandidaten Jair Bolsonaro bei den brasilianischen Präsidentschaftsstichwahlen wäre für den Brasilien-Experten Andreas Novy eine „Überraschung“. „Wesentliche Player“ wie Industriellenvereinigung, Banken, das Agrobusiness oder Medienkonzerne würden sich für Bolsonaro aussprechen. „Die Reihen sind geschlossen“, sagte der WU-Professor im Gespräch mit der APA.

Das starke Abschneiden von Bolsonaro, der im ersten Durchgang 46,2 Prozent der Stimmen erhielt, sei ein „Sittenbild der dominanten Gruppen“, so der Experte. „Von der Grundhaltung her“ sei der Bewerber ein „Diktator“, auch wenn er viele Ankündigungen im „Institutionengefüge“ nicht umsetzen werde könne. Aber es sei „ganz klar, dass ihm eine Diktatur lieber ist als eine Demokratie, wo die ‚Falschen‘ regieren.“ Der Erfolg des Kandidaten zeige, dass die Militärdiktatur (1964 bis 1985) - anders als etwa im Nachbarland Argentinien - nicht aufgearbeitet worden sei.

Um seine politische Ausrichtung zu beschreiben schlägt Novy den Begriff „reaktionär“ vor. „Rechtspopulistisch“ sei „völlig unpassend“, „rechtsextrem“ stimme zwar eigentlich, sei aber als Begriff „schwierig“ und „sinnlos“ im Anbetracht der breiten Unterstützung. Bolsonaro wolle die progressiven Reformen der Regierungen der Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva (2003-2010) und Dilma Rousseff (2011-2016) rückgängig machen, insofern sei „reaktionär“ das „treffendste Wort“. „Mit seinem Frauenbild, seinem Bild von Schwarzen und Homosexuellen“ werde das „kulturelle und politische Rad“ ins frühe 20. Jahrhundert zurückgedreht. „Erschütternd“ sei aber weniger, „wer Präsident wird, sondern wozu die Herrschenden bereit sind“. In den relevanten Medien des Landes laufe „rund um die Uhr Propaganda“ für Bolsonaro.

Gewählt hätten den umstrittenen Kandidaten vor allem die „reicheren, gebildeteren und bessergestellten Regionen“ im Süden und Südosten des Landes. Dort habe es seit jeher eine rechte Mehrheit gegeben, während die dünn besiedelten, ärmeren Gebiete im Norden nach links tendierten. Bolsonaro habe im Süden nun die Stimmen der gemäßigten Rechten „übernommen“. In den Jahren nach dem Abtritt von Lula sei es „geglückt“, die Arbeiterpartei (PT) im Zuge der Korruptionsaffären zu diskreditieren. Mittlerweile lehne die Hälfte der Bevölkerung „diese Partei und das wofür sie steht, die Einbindung der Ärmsten in die brasilianische Gesellschaft“, klar ab, beziehungsweise hasse sie sogar. Eine Erklärung ist für Novy, dass die Fördermaßnahmen für sozial Benachteiligte „tiefsitzende Ängste“ in der Mittelschicht ausgelöst hätten. Sie fürchten laut Novy den Verlust ihrer relativen Privilegien.

Eine Vorschau auf die mögliche zukünftige Regierung unter Bolsonaro fällt Novy leicht, denn der Kandidat sei „ein offenes Buch“. Im Wirtschaftspolitischen sei „radikalisierter Neoliberalismus“ zu erwarten. Auf internationaler Ebene werde es zu einer weiteren Abkehr von den BRICS-Staaten kommen, zu einer Absage an Versuche lateinamerikanischer Integration und zu einer „ganz starken Anlehnung an die USA“. Die ganze Region sei bis auf wenige Ausnahmen ja wieder zu einer „Hinterhofregion“ der USA geworden. „Dieser Prozess ist erst einmal abgeschlossen, so schnell wird sich daran nichts ändern.“

Andreas Novy leitet das Institute for Multi-Level Governance and Development an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er verfasste seine Habilitationsschrift zu „Brasilien: die Unordnung der Peripherie“, erschienen im Promedia Verlag (2001). Die portugiesische Übersetzung „Brasil: A Desordem da Periferia“ wurde am Weltsozialforum 2002 in Porto Alegre präsentiert.

(Das Gespräch führte Roman Kaiser-Mühlecker/APA)