Letzter DDR-Regierungschef de Maiziere: Steiniger Weg zur Einheit

Wien (APA) - Die auch für die Gegenwart nicht folgenlosen enormen Herausforderungen bei der Verwirklichung der deutschen Einheit sind Thema ...

Wien (APA) - Die auch für die Gegenwart nicht folgenlosen enormen Herausforderungen bei der Verwirklichung der deutschen Einheit sind Thema eines Vortrags gewesen, den einer der wichtigsten Zeitzeugen der damaligen Ereignisse am Mittwoch in Wien gehalten hat: Lothar de Maiziere (78), der letzte Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik.

Der von 12. April bis 2. Oktober 1990 in dieser Funktion amtierende CDU-Politiker war der erste demokratisch gewählte Regierungschef der DDR. Er setzte am 12. September 1990 in Moskau seine Unterschrift unter den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die deutsche Einheit besiegelte. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland erfolgte am 3. Oktober 1990 die Vollendung der Einheit.

Er sei froh, dass der 3. Oktober und nicht der 9. November, an dem im Jahr 1989 die Berliner Mauer fiel, als Nationalfeiertag begangen werde, betonte de Maiziere. „Der 9. November ist in unserer Geschichte kompromittiert“, sagte er unter Anspielung auf dramatische Ereignisse in Deutschland an diesem Datum: 1918 der Sturz der Monarchie, 1923 der Hitler-Ludendorff-Putsch in München, oder 1938 die Novemberpogrome.

Auch in der Zeit nach dem Mauerfall erlebte die damals noch existierende DDR schwierige Zeiten. So gab es verschiedene Denkrichtungen: Einige wollten einen „richtigen“ Sozialismus verwirklichen, andere eine pazifistische, gerechte DDR, gleichsam einen „Gottesstaat“, so de Maiziere. „Es war eine Zeit überbordender Hoffnungen. Aus einer Phase der Friedenserhaltung galt es, in eine Phase der Friedensgestaltung überzugehen“, berichtete der frühere Politiker und heutige Rechtsanwalt.

Zahlreiche Schwierigkeiten gab es zu überwinden. Es mussten freie Wahlen vorbereitet werden, die es seit 1932 in Ostdeutschland nicht gegeben habe, sagte de Maiziere. Um das Ziel der deutschen Einheit zu verwirklichen, mussten die Voraussetzungen für einen Rechtsstaat und eine freie Marktwirtschaft geschaffen werden. Die „Volkskammer“, das DDR-Parlament, „musste sich selbst überflüssig machen“. Dazu kam ein Exodus tausender vor allem junger Leute in den Westen.

Auch die rasche Währungsumstellung verlief nicht problemlos. Durch die Einführung der Westmark gab es im Osten nun eine enorme Kaufkraft für Westprodukte. Man war über Nacht Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft. Der Großteil der ostdeutschen Betriebe war nicht marktfähig. 70 Prozent ihrer Exporte gingen nach Russland. Die Gründung der umstrittenen Treuhandgesellschaft, die die „volkseigenen“ Betriebe privatisieren sollte, verteidigte de Maiziere. Er verwies dabei darauf, auf welche Weise in Russland „herrenloses Eigentum“ privatisiert worden sei.

Zu den jüngsten Entwicklungen in der früheren DDR, insbesondere zum Erstarken der AfD, meinte de Maiziere: „Ich kann es mir auch nicht erklären.“ Er verwies darauf, dass es im Osten Deutschlands lange kaum Erfahrung mit Fremden, allenfalls mit Vietnamesen, gegeben habe. Auch Menschen, die zu kurz gekommen seien, unterstützten die AfD, „die aus stabilerem Holz“ sei. Allerdings, unterstrich de Maiziere, stammten die „Stichwortgeber“ der AfD aus dem Westen.

De Maizieres politische Karriere währte nur kurz. Er war 1990 beschuldigt worden, unter dem Decknamen „Czerni“ jahrelang für die Stasi gearbeitet zu haben. Er bestritt dies, legte aber seine politischen Ämter nieder. Seither arbeitet er als Anwalt. In dieser Funktion war er auch mit dem Fall des früheren kasachischen Botschafters in Österreich, Rakhat Aliyev, befasst, gegen den er 2011 als Vertreter der mutmaßlichen Opferfamilien schwere Vorwürfe erhob.