„Keine harte Grenze“ - Angst vor dem Brexit auf der irischen Insel

Belfast/Dublin (APA) - Dort, wo mit dem Brexit auf der Landkarte eine neue EU-Außengrenze zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich ent...

Belfast/Dublin (APA) - Dort, wo mit dem Brexit auf der Landkarte eine neue EU-Außengrenze zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich entsteht, ist heute keine Grenze sichtbar. Die Trennlinien, die der Nordirland-Konflikt mit sich brachte, sind aber noch nicht verschwunden: In Belfast stehen noch immer „Peace Walls“, die katholische und protestantische Arbeiterviertel durch meterhohe Wände abgrenzen.

Zwar sind die „Peace Walls“ mit ihren Graffiti-Kunstwerken mittlerweile zu einer Touristenattraktion geworden. Doch viele Einwohner der nordirischen Hauptstadt würden sie lieber ganz verschwinden sehen.

2,2 Milliarden Euro hat die EU seit 1995 in ihr Peace-Programm für Nordirland gesteckt, um die Transformation in eine Post-Konflikt-Gesellschaft voranzubringen. Sowohl Irland als auch Großbritannien haben fürs erste die Fortsetzung der Programme nach dem Brexit zugesichert, die langfristige weitere Finanzierung ist jedoch ungeklärt. Mit dem Peace-Programm der EU wurden auch 350 Schulen unterstützt, um die nach wie vor bestehende Trennung zwischen Katholiken und Protestanten im Bildungswesen aufzulockern, wie Paul Sheridan, der Direktor der nordirischen Umsetzungsbehörde für das EU-Programm erläutert.

Etwa 3.500 Menschen wurden in dem 30-jährigen Nordirland-Konflikt getötet, mehr als 35.000 wurden physisch verletzt. Das sind mehr Opfer als der islamische Fundamentalismus in Europa verursacht hat. Erst 2006 wurde in Großbritannien ein Gesetz verabschiedet, das den Opfern Unterstützung bei Pflege und Trauma-Aufarbeitung garantiert, erst seit 2009 gibt es eine Strategie Nordirlands für den Umgang mit Opfern und Überlebenden.

In der an Nordirland angrenzenden irischen Ortschaft Carrickcarnan liegt der lokale Friedhof auf irischem Gebiet, die dazugehörige Kirche steht auf der nordirischen Seite. Die Sorge vor den Folgen eines „No Deals“ in den Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU sind hier besonders ausgeprägt. Vor der lokalen Kirche haben Brexit-Gegner der nordirischen Grenzregionen einen Anhänger aufgestellt. „Keine EU-Grenze in Irland. Unterstützt einen speziellen EU-Status für den Norden“, steht als Slogan auf der Plane.

„Während es in Westminster und Brüssel um Zollfragen und Handel geht, ist die Grenze hier eine Frage der Identität“, sagt Peter Sheridan, Chef der grenzüberschreitenden Organisation Co-operation Ireland. Sheridan hat 32 Jahre als britischer Polizist mit irischen Wurzeln in Nordirland gearbeitet. Sicherheitsexperten wie er fürchten die Rückkehr einer „harten Grenze“ und warnen selbst vor dem Einsatz von Drohnen und Kameraüberwachung, da dies neue Provokationen auslösen könnte. Die Geschichte des Nordirland-Konflikts habe gezeigt: „Es fängt mit ein wenig zivilem Ungehorsam an, und dann wird daraus immer mehr“, sagt Sheridan.

Früher standen an der Grenze noch Türme der britischen Armee und Helikopter-Landeplätze, mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 sind die Symbole staatlicher Gewalt schrittweise verschwunden. Heute ist die Grenze zwischen Irland und Nordirland als solche kaum mehr erkennbar. Einzig die Randmarkierung an der Autobahn lässt darauf schließen, auf welcher Seite man sich befindet: Ist der Streifen gelb, fährt man auf irischer Seite. Ist die Markierung weiß, hat man schon die Grenze nach Nordirland überschritten.

Etwas weiter im Norden steht am Straßenrand die „Kingsmill Memorial Wall“, eine Gedenkstätte, die an eines der schlimmsten Gewaltverbrechen des Konflikts erinnert: Zehn protestantische Fabriksarbeiter wurden am 5. Jänner 1976 aus ihrem Minibus gezerrt. Die Männer mussten sich in einer Reihe aufstellen und wurden brutal exekutiert. Die Morde werden lokalen irisch-republikanischen Terroristen zur Last gelegt, die Täter wurden allerdings bis heute nicht ausgeforscht.

„Ich kannte sie alle“, erinnert sich Desmond McCaine an seine ermordeten Arbeitskollegen. Der alte Mann steht vor dem Mahnmal und erzählt, er habe Nordirland vor 40 Jahren in Richtung London verlassen und sei erst jetzt zurückgekehrt. McCaine glaubt nicht, dass sich die Gewalt auf beiden Seiten wiederholen wird. Die jetzige junge Generation sei ohne Gewalt aufgewachsen. Außerdem habe sich die Gesellschaft verändert. Irland habe ein Abtreibungsgesetz verabschiedet, was vor 40 Jahren noch undenkbar gewesen sei, sagt McCaine. Für den Brexit zeigt der Brite Sympathien: „Je früher, desto besser.“