Verfrühtes Weihnachtsmärchen: „Josef und Maria“ in den Kammerspielen

Wien (APA) - Draußen drängen sich die Leute zu spätsommerlichen Temperaturen in den Schanigärten, drinnen wird zu Kunstschneetreiben Weihnac...

Wien (APA) - Draußen drängen sich die Leute zu spätsommerlichen Temperaturen in den Schanigärten, drinnen wird zu Kunstschneetreiben Weihnachten gefeiert. Doch nicht nur die Jahreszeiten sind an diesem Abend in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt aus den Fugen, auch die Zeit ist es. Peter Turrinis „Josef und Maria“ wurde 1980 uraufgeführt. Laut Lautsprecher-Durchsage schreiben wir aber 1991.

Einerseits ist Turrinis Zwei-Personen-Weihnachtsmärchen mit über 100 Inszenierungen in über 20 Sprachen das vielleicht erfolgreichste Stück des großen österreichischen Dramatikers und verströmt eine tiefe, allgemeine, weder orts- noch zeitgebundene Menschenliebe. Andererseits zeigt Alexander Kubelkas Inszenierung, die am Donnerstag ihre umjubelte Premiere hatte, wie rasch der Zahn der Zeit auch an Stücken von universeller Botschaft nagt.

Der Mann als politischer Kämpfer, als Kopfmensch und Weltverbesserer; die Frau als einst leichtlebige Ballettratte, auf ihre frühere Schönheit pochend und gegen ihre Schwiegertochter schimpfend - es ist fraglich, ob eine solche Figurenkonstellation heute noch möglich wäre. Auch an die sozialistischen Ideale, die Herr Josef so inbrünstig beschwört, ließ sich zu Kreiskys Zeiten wohl noch mehr glauben als in der Gegenwart eines Christian Kern und einer Pamela Rendi-Wagner. „Werden wir den Sozialismus noch erleben, was meinen Sie?“, fragt Josef die Maria. Schon Weihnachten 1991 schien das nicht sehr wahrscheinlich: Drei Tage zuvor war die Auflösung der Sowjetunion besiegelt worden.

Bühnenbildner Florian Etti hat für die herzzerreißende Begegnung eines Nachtwächters mit einer Aushilfs-Putzfrau auf eine Anhäufung des weihnachtlichen Warenangebots verzichtet und sich eher an dem von Herbert Föttinger in schmeichelweichen Kaufhaus-Durchsagen propagierten Werbeslogan orientiert: „Weihnachtszeit: Wunderzeit“. Zwei große, rote Plastikkugeln, zwei über die Bühne gezogene Eisbären und ein Kunstschneegebläse ergeben nicht nur ein halb abstraktes Ambiente, sondern auch herrliche Spielmöglichkeiten. Höhepunkt: der gemeinsame Husarenritt auf den Eisbären, „auf zum letzten Gefecht“...

Zwei - für ihre Rollen wohl ein wenig zu junge - erstklassige Schauspieler sorgen dafür, dass man im Verlauf der 100 Minuten seine Einwände bald vergisst. Johannes Silberschneider, von Elisabeth Strauß mehr als ein Schutzbündler denn als ein Angestellter der Wach- und Schließgesellschaft kostümiert, berührt als lebendes Fossil aus einer Zeit, in der man um sozialen Fortschritt kämpfte und versuchte, „Die Wahrheit“ (hier eine klassenkämpferische Zeitung) unters Volk zu bringen. Ulli Maier kontrastiert aufs Bitterste die Erinnerungen an ihre kurze, intensive Zeit beim Varieté mit der realen Gegenwart als vereinsamte Frau, die von ihrem Sohn vom gemeinsamen Heiligen Abend wieder ausgeladen wurde, um Familienstreit zu vermeiden.

Sehenswert, wie (befeuert auch vom wiederholten Griff zur Schnapsflasche) aus dem an einander vorbei Monologisieren allmählich eine Nähe entsteht, in der vieles möglich scheint - nicht nur gemeinsames Kuscheln auf dem Eisbärenfell. Und aus Josef Pribil, dem einstigen hustenden Löwen der „Zauberflöte“, wird plötzlich der Tango tanzende Rodolfo Valentino. Weihnachtszeit: Wunderzeit. Und ausgerechnet der lebenslange Freidenker hört ein dankbares: „Herr Josef, Ihnen hat der Herrgott geschickt.“

Peter Turrini ist bereits so etwas wie der Hausheilige des Theaters in der Josefstadt unter Direktor Herbert Föttinger. „Josef und Maria“ war die vierzehnte Turrini-Premiere am Haus. Der herzliche Schlussapplaus galt auch dem Autor.

(S E R V I C E - „Josef und Maria“ von Peter Turrini, Regie: Alexander Kubelka, Bühnenbild: Florian Etti, Kostüme: Elisabeth Strauß, Musik: Boris Fiala, Mit Johannes Silberschneider und Ulli Maier, Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt, Nächste Aufführungen: 12., 19., 23., 30.10., Karten: 01 / 42700-300, www.josefstadt.org)

(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen im Pressebereich von www.josefstadt.org zum Download bereit.)