Menschliche Metamorphosen: Teresa Präauers großer Essay „Tier werden“

Wien (APA) - In ihrem Debütroman „Für den Herrscher in Übersee“ spielten Vogelmenschen eine wichtige Rolle, in ihrem Roman „Oh Schimmi“ (jün...

Wien (APA) - In ihrem Debütroman „Für den Herrscher in Übersee“ spielten Vogelmenschen eine wichtige Rolle, in ihrem Roman „Oh Schimmi“ (jüngst in Bregenz auf der Bühne und ab 24. November im Schauspielhaus Wien) machte sich ein Mensch ganz buchstäblich „zum Affen“. Nun macht sich Teresa Präauer, die am Montag das Literaturfestival „Österreich liest“ eröffnet, ausführlich Gedanken über das „Tier werden“.

Schon der Umschlag dieses 100-seitigen elaborierten Essays führt in das Thema ein: Das auf ihm abgebildete blau-braun gesprenkelte Fell mit gelegentlich eingestreuten rötlichen Tupfen wird als „Schreckzobel“ ausgewiesen. Ein Tier, geboren aus Lust, Laune und Fotoshop? Fantasie und Realität, Vorfindung und Erfindung, Fabelwesen und wissenschaftlich belegte Species sind seit jeher kaum auseinanderzuhalten, lautet die durch eine Vielzahl an weit zurückreichenden Fundstücken belegte Ausgangsthese Präauers.

So schwierig der kaum gegliederte, ständig von einem Gedanken zum nächsten springende Text zu lesen ist, so profund ist die Auseinandersetzung der 1979 in Linz geborenen Künstlerin und Autorin mit ihrem Thema, bei dem sie natur- und kunstwissenschaftliches Material zusammenträgt und miteinander in Beziehung stellt. „Tier werden“ nannte sie schon 2016 die Antrittsvorlesung ihrer Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur an der Freien Universität Berlin, wo sie auch ein Seminar mit dem Titel „Poetische Ornithologie - zum Flugwesen in der Literatur“ hielt. Präauer darf also getrost als Expertin für Animalisation und Transformation gelten.

Von Harpyien, Vogelwesen mit menschlichem Kopf, landet sie bei Dürers Zeichnung eines Panzernashorns, das der Künstler nachweislich in natura nie gesehen hatte, von Meret Oppenheims „Pelztasse“ bei Ovids „Metamorphosen“ und Christian Morgensterns „Nasobem“, das später sogar Eingang in Lexika fand. Überhaupt, so schildert Präauer, habe man bei frühen Versuchen, sämtliche bekannte Lebewesen zu katalogisieren, zwischen eindeutig Gesichertem und vielfach Überliefertem ebenso wenig unterschieden wie zwischen „natürlichen“ Erscheinungsbildern und offenkundigen Fehlbildungen und Verwachsungen. Dafür war bei Carl von Linné die Gattung „Anthropomorpha“, der „menschengestaltigen“ Wesen, durchaus gebräuchlich.

Sphingen, Einhörner und Drachen sind selbstverständlicher Teil der Kulturgeschichte und stellen, vielfach beschrieben und gezeichnet, selbst Evidenz her: „Wird gezeichnet, was existiert, und existiert, was gezeichnet wird?“ Präauer führt das Thema bis in die Gegenwart weiter: 2012 forderte die documenta-Leiterin in einer Kunstaktion das Wahlrecht für Erdbeeren und Bienen, 2015 vertrat eine Tierrechtsorganisation in einem Copyright-Musterprozess die Rechte eines Makakenäffchens, das im indonesischen Urwald ein Foto mit der Kamera eines Fotografen geschossen hatte. Der Streit wurde erst 2018 entschieden. Gegen den Affen.

In Kafkas „Verwandlung“ verwandelt sich ein Mensch in einen Käfer, im Film „Toni Erdmann“ steigt Peter Simonischek als kauziger Vater einer toughen Consulterin in ein Zottelkostüm, das frappant an auf der ganzen Welt praktizierte Verkleidungs-Riten erinnert, bis hin zu Krampus- und Perchten-Läufen in unseren Breiten. Die angeführten Beispiele der Mensch-Tier-Verwandtschaft und -Verwandlung sind schier endlos. Die große, abschließende Synthese bleibt allerdings aus. Und wenn Präauer uns am Ende ziemlich abrupt mit dem Rufen eines Kuckucks und dem Brummen einer Hummel entlässt, entfährt dem enttäuschten Leser unweigerlich ein kurzes Knurren.

(S E R V I C E - Teresa Präauer: „Tier werden“, Wallstein Verlag, 100 Seiten, 18,50 Euro, Klappenbroschur, Lesung am 19.10., 19.30 Uhr, im Rahmen von „50 Jahre Literaturforum Leselampe“ in der ehemaligen Trachtenfabrik, Salzburg, Roittnerstraße 9)