Deutsche Grüne machen beim Kohleausstieg Druck
Berlin (APA/AFP/dpa) - Nach dem eindringlichen Appell des Weltklimarates drücken die Grünen beim Kohleausstieg aufs Tempo. „So lange die Koh...
Berlin (APA/AFP/dpa) - Nach dem eindringlichen Appell des Weltklimarates drücken die Grünen beim Kohleausstieg aufs Tempo. „So lange die Kohlekraftwerke in Deutschland weiter ungehindert Klimagifte ausstoßen, werden wir unser Klimaziel für 2020 verfehlen“, heißt es in einem Positionspapier von Parteichefin Annalena Baerbock und Fraktionsvize Oliver Krischer.
Deshalb müssten „unverzüglich mindestens die 20 dreckigsten Kohlekraftwerksblöcke vom Netz genommen werden“. Angesichts des Berichts des Weltklimarats IPCC, der am Montag zur Begrenzung der Erderwärmung schnelle und „beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen“ angemahnt hatte, müssten Union und SPD „alles dafür tun, den CO2-Ausstoß zu senken“, forderten Baerbock und Krischer. „Deshalb brauchen wir jetzt den unverzüglichen Einstieg in den Kohleausstieg.“
Konkret ließen sich durch die Abschaltung der 20 Kraftwerksblöcke 70 Millionen Tonnen CO2 einsparen, heißt es in dem Grünen-Papier mit dem Titel „Sofortprogramm Kohleausstieg bis 2020“, über das zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet hatte. Da die Berliner Regierung seit der Bundestagswahl „untätig“ gewesen sei, müssten jetzt mittlerweile „mindestens“ 10 bis 11 Gigawatt (GW) abgeschaltet werden.
In den Verhandlungen für eine mögliche Jamaika-Koalition mit Union und FDP hatten die Grünen vor rund einem Jahr noch darum gerungen, einen schnellstmöglichen Verzicht auf rund 7 GW aus der Kohleverstromung zu erreichen. Zuvor hatte die Union nur maximal 5 Gigawatt angeboten, die Grünen wollten damals ursprünglich 8 bis 10 GW erreichen.
Immer wieder Gegenstand von Debatten ist dabei, wie sich ein Abschalten von Kraftwerksblöcken auf die Versorgungssicherheit von Wirtschaft und Verbrauchern auswirken könnte. Während der Jamaika-Verhandlungen im vergangenen Herbst hatten die Grünen dabei Rückendeckung von Experten aus dem deutschen Wirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur bekommen, wonach die Versorgungssicherheit in Deutschland auch gewährleistet sei, wenn eine Kapazität von 7 Gigawatt an Kohlekraftwerken im Jahr 2020 stillgelegt würde. Die Denkfabrik Agora Energiewende kam Ende 2017 zu dem Schluss, dass die kurzfristige Stilllegung von 8,4 Gigawatt alter Braunkohlekraftwerke die Versorgungssicherheit nicht gefährde.
Insgesamt beträgt die installierte Leistung von Braunkohlekraftwerken am Strommarkt nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 20 Gigawatt und von Steinkohlekraftwerken knapp 23 Gigawatt. Zum Vergleich: Bei Windenergie sind es knapp 50 Gigawatt. Alles in allem sind rund 200 Gigawatt Leistung in Deutschland installiert. Der Kohle-Anteil hat dabei zuletzt abgenommen, wohingegen der Beitrag von erneuerbaren Energien gestiegen ist. Kohlekraftwerke sind für einen großen Teil der Emissionen in der Kraftwerksbranche verantwortlich.
Neben dem unverzüglichen Einstieg in den Kohleausstieg stellen die Grünen in dem Papier weitere Forderungen auf, um den Klimaschutz voranzutreiben - darunter einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien, ein Verbot für die Erschließung neuer Braunkohletagebaue, strengere Schadstoffgrenzen für die Abgase von Kohlekraftwerken und die Überführung der Rücklagen der Energiekonzerne für die Rekultivierung von Braunkohletagebaue in eine öffentlich-rechtliche Stiftung.
Außerdem fordern die Grünen, dass die deutsche Regierung aus der Finanzierung von Kohlekraftwerken weltweit aussteigen und Kommunen ermutigen müsse, ihre Anteile an fossilen Energieunternehmen abzustoßen. Investitionen in fossile Energien führten „in eine Sackgasse“, heißt es in dem Papier.
Dass die Kohlekommission derzeit an einem Datum für das Abschalten des letzten Kohlekraftwerks und dem Strukturwandel in den Regionen arbeitet, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung in ihrer Regierungsverantwortung dem Klimaziel, bis 2020 eine Treibhausgasreduktion von 40 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen, „gerecht werden muss“, forderten Baerbock und Krischer.
Die deutsche Regierung hatte die Kohlekommission mit dem offiziellen Titel „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ Anfang Juni eingesetzt. Sie kam am Freitag erneut zusammen.
Nach Einschätzung der RAG-Stiftung wird für die dauerhaften Folgekosten des Steinkohlenbergbaus möglicherweise mehr Geld gebraucht als bisher geplant. „Die Zahlen werden etwas höher ausfallen“, sagte der Vorstandschef der RAG-Stiftung, Bernd Tönjes, dem Deutschlandfunk. Bisher war die Stiftung, die ab 2019 unter anderem die Rechnungen für das Abpumpen des Grubenwassers aus den stillgelegten Zechen bezahlen muss, von jährlichen Kosten in Höhe von 220 Mio. Euro ausgegangen. Ende des Jahres werden die beiden letzten Steinkohlezechen in Deutschland stillgelegt.
Nach Angaben von Tönjes sind Genehmigungsverfahren für die Wasserhaltungsmaßnahmen „etwas im zeitlichen Verzug“. Deshalb werde aktuell überlegt, „welche Größen damit auch auf die RAG-Stiftung zukommen werden“. Konkrete Zahlen für den Mehrbedarf wollte eine Sprecherin der Stiftung am Donnerstag auf Anfrage nicht nennen. Es handle sich um „temporäre Risiken“, sagte sie.
Finanzierungsprobleme sieht Tönjes für die Stiftung aber nicht. „Die Einnahmen werden die Ausgaben bei Weitem übersteigen.“ Im vergangenen Jahr hatte die Stiftung 430 Millionen Euro eingenommen, so viel wie noch nie seit ihrer Gründung vor elf Jahren. Wichtigste Einnahmequelle der Stiftung sind die Dividenden des Essener Spezialchemiekonzerns Evonik, an dem sie rund 64 Prozent hält. Für die Begleichung der Ewigkeitslasten hat die Stiftung mittlerweile mehr als 5 Mrd. Euro zurückgestellt.