Indigenen-Aktivist: Aktuelle Krise in Argentinien schlimmer als 2001
Wien (APA) - Für den Kleinbauern- und Indigenen-Aktivisten Juan Carlos Figueredo ist die derzeitige Krise in Argentinien schlimmer als jene ...
Wien (APA) - Für den Kleinbauern- und Indigenen-Aktivisten Juan Carlos Figueredo ist die derzeitige Krise in Argentinien schlimmer als jene von 2001, die zum Staatsbankrott im Folgejahr führte. Wegen der vielfältigen sozioökonomischen Ungleichgewichte und der hohen Auslandsverschuldung werde man an den Folgen der Krise besonders lange zu laborieren haben, sagte der Argentinier im Interview mit der APA.
„Aktuell haben wir eine Rezession, die Industrie steht, Löhne, Gehälter und der Konsum sind stark gesunken, dazu kommt ein hoher Grad von Verschuldung.“ In den letzten beiden Jahren sei eine gigantische Staatsverschuldung angehäuft worden. „Dieses Niveau hatten wir 2001 nicht, und jetzt müssen wir die Zinsen zahlen.“ Man sei „einen Schritt vom Zahlungsausfall entfernt“.
Derzeit lebten in Argentinien 30 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Dazu komme das Problem der Ernährungsunsicherheit, wie unlängst auch ein Sonderbericht der UNO festgestellt habe. „Und das in einem Land wie Argentinien“, sagt Figueredo mit Blick auf den landwirtschaftlichen Reichtum des südamerikanischen Landes.
Schuld sei das „neoliberale Modell“, das Präsident Mauricio Macri gewählt habe. Die Vorgängerregierungen von Nestor und Cristina Kirchner hätten einen Fokus auf „nationale Produktion, nationalen Konsum“ gelegt. „Das hat Jobs geschaffen, weil Industrie und Klein- und Mittelbetriebe wuchsen.“ Den ärmsten Sektoren hätte der Staat mit Hilfen unter die Arme gegriffen, was „die Wirtschaft ebenfalls angetrieben“ hätte.
Macri habe „einen anderen Weg gewählt“. Ziel der Regierung sei es, den Export zu befeuern. In diesem Rahmen sei die Aufhebung der Bindung des Peso an den Dollar im Jahr 2015 zu verstehen, die zur galoppierenden Inflation geführt habe. „Um diese Inflation zu bekämpfen, haben sie die Importbeschränkungen aufgehoben.“ Damit hätten billigere Produkte aus dem Ausland mit den teuer gewordenen heimischen Produkten konkurrieren können. Als Beispiele nennt Figueredo Gemüse aus Chile, oder Schweinefleisch aus Dänemark. Dadurch seien die argentinischen Produzenten noch weiter unter Druck geraten, was letztlich der Auslöser der Wirtschaftskrise gewesen sei.
Das Argument des argentinischen Präsidenten, er kämpfe lediglich mit dem „schwierigen Erbe“ seiner Vorgängerin Cristina Kirchner, lässt Figueredo nicht gelten. Auch wenn die Statistiken des letzten Amtsjahres von Kirchner bereits einen sprunghaften Anstieg der Armut verzeichneten, könne man die Situation damals nicht mit jener von heute vergleichen. Es habe deutlich mehr soziale Hilfen und viel mehr Arbeit gegeben. Nur sei das oft informelle Arbeit gewesen, hätte also keinen Niederschlag in offiziellen Statistiken gefunden. „Frag ganz egal wen auf der Straße, jeder wird dir sagen: Früher gab‘s mehr Jobs.“ Zudem habe es kaum Auslandsverschuldung gegeben.
Eine weitere „deutliche Verschärfung“ der Situation erwartet sich der Aktivist, der sich innerhalb der Organisation INCUPO für Kleinbauern in fünf Provinzen Nordargentiniens einsetzt, vom derzeit in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur. Die komparativen Kostenvorteile Argentiniens würden seine Rolle als Agro-Exporteur noch stärker zementieren. „Das wird die Erosion verschlimmern, ebenso die Vertreibung von lokaler Bevölkerung und die Umweltverschmutzung“. Gemeinsam mit dem langjährigen Projektpartner Welthaus der Diözese Graz-Seckau plädieren Figueredo und INCUPO für einen „komplementären“ und „verantwortungsvollen“ Handel zwischen der EU und Lateinamerika. Es dürfe nicht nur darum gehen, wer am billigsten Nahrungsmittel produzieren könne und wer am meisten zahle. Außerdem müssten die versteckten sozialen und ökologischen Kosten berücksichtigt werden.
Im derzeitigen politischen Kontext werde es aber nicht einfach, politische Allianzen in Lateinamerika zu schmieden. In den letzten Jahren wurden zahlreiche linke Regierungen abgewählt. Sollte Brasilien „fallen“ und der Rechts-Außenkandidat Jair Bolsonaro gewählt werden, erwartet sich Figueredo einen „sehr bedeutenden Rückschritt“ für die Anliegen der Kleinbauern. Dazu komme der geopolitische Aspekt. Die EU, die USA und China befänden sich in einem neuen Wettlauf um Einfluss in Lateinamerika. „Wir kehren zurück zur kolonialen Logik.“
(Das Gespräch führte Roman Kaiser-Mühlecker/APA)
~ WEB http://www.mercosur.int/ ~ APA033 2018-10-14/08:00