Bayern-Wahl: „Lederhosen-Revolution“ und Rekorde

München (APA/Reuters) - „Das Ergebnis ist einfach nur wow!“, sind die ersten Worte der Grünen-Bundeschefin Annalena Baerbock, als sie vor di...

München (APA/Reuters) - „Das Ergebnis ist einfach nur wow!“, sind die ersten Worte der Grünen-Bundeschefin Annalena Baerbock, als sie vor die Grünen-Anhänger in der Berliner Parteizentrale tritt. Der Europapolitiker Reinhard Bütikofer informiert seine Follower bei Twitter über „The ‚lederhosen revolution‘ in Bavaria“.

Nach Hochrechnungen haben die Grünen in Bayern mit rund 19 Prozent ihre Landtagswahlergebnis 2013 von 8,6 Prozent mehr als verdoppelt. Wer das vor wenigen Jahren prognostiziert hätte, wäre als Spinner abgetan worden. Die über Hundert Menschen in der Bundesgeschäftstelle jubeln und klatschen. Überschäumend ist ihre Freude aber nicht. Fast scheint es, als würden sie dem eigenen Erfolg misstrauen.

Auch im Bund deutet sich eine sensationelle Trendwende an. In mehreren Umfragen liegen die Grünen vor der SPD. Dabei schnitt die SPD bei der Bundestagswahl 2017 mit 20,5 Prozent noch deutlich besser ab als die Grünen mit 8,9 Prozent. Manche Auguren glauben bereits, dass die Grünen dauerhaft die SPD als zweite Kraft hinter der Union verdrängen könnte.

„Die Grünen bekommen jetzt Wähler von der Mitte. Viele kommen von der SPD“, erklärt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, die Entwicklung gegenüber Reuters. Die Partei habe sich neben ihren Stammwählern ein neues Klientel erschlossen: „Die Alt-Grünen, die haben sie immer noch, die sind dann gut für sieben bis neun Prozent der Stimmen. Und die Neugrünen machen noch einmal den gleichen Anteil aus wie die Altgrünen.“ Die Aussichten sind nach seinen Worten sogar noch besser: „Die Grünen haben im Augenblick ein Wählerpotenzial, was ähnlich groß ist wie das der SPD, nämlich 34 Prozent.“

Eine der Hauptursachen für diesen Aufschwung wird im neuen Spitzenpersonal der Grünen gesehen, den Parteichefs Robert Habeck und Baerbock. Erstmals ist das Führungsduo mit zwei Realos besetzt. Nach Außen tritt damit die Partei wie erneuert auf, die kräftezehrenden Flügelkämpfe mit der Parteilinken sind bisher ausgeblieben. Dieses neue Image lässt sich auch in Bayern beobachten. Die Spitzenkandidatin Katharina „Katha“ Schulze wird als geerdet, optimistisch und heimatverbunden beschrieben. Die 33-Jährige füllte im Wahlkampf die Bierzelte und trat dabei im Dirndl auf, was viele Grüne noch vor Jahren als provinziell bekrittelt hätten.

Es gibt aber auch inhaltliche Gründe für den Höhenflug. Nach den leidvollen Erfahrungen mit dem Veggie-day vermeiden die Grünen das Image als Verbotspartei. Mit dem Schwerpunkt Sicherheitspolitik versuchen sie klassisch konservative Politikfelder zu besetzen. Früher wäre es kaum denkbar gewesen, eine personelle Aufstockung der Polizei zu fordern, wie es die Grünen jetzt tun. Zudem werden die Grünen mehr als Union und SPD als eigentlicher Gegenpol zur AfD wahrgenommen. Mit Blick auf die CSU sagt Baerbock am Wahlabend: „Wer den Rechten hinterherläuft, der verliert.“

Während die Union nicht nur aus Sicht Güllners nach rechts rückt und die Flüchtlingspolitik verschärft, begehrt in der SPD die Parteilinke gegen die große Koalition auf. Damit wird Platz in der Mitte frei. „Da stoßen die Grünen mit dem Habeck jetzt genau hinein“, meint Güllner und zieht eine Parallele zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der 2016 als Außenseiter mit seiner Bewegung En Marche das politische Feld aufrollte. „Wir haben das Potenzial für eine Macron-Bewegung abgefragt“, erklärt der Meinungsforscher. „Das sind fast 60 Prozent die sagen, ‚Ich kann mir das vorstellen, die zu wählen‘.“ Güllner selbst warnt vor überzogenen Erwartungen und stellt klar, Habeck sei noch kein Macron. Aber von allen politischen Spitzen-Akteuren entspreche er noch am ehestens dem Typus des französischen Präsidenten.

Die Grünen wurden bereits einmal als kommende Volkspartei gehandelt. 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima stiegen die Atomkraftgegner kometenhaft auf, bei 20 Prozent bundesweit lagen ihre Werte zeitweise. Höhepunkt war die Wahl von Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg. Im Bund jedoch bestimmte die Parteilinke unter Jürgen Trittin die Linie der Partei. Steuererhöhungswünsche und eine Serie von Maßnahmen, die als Bevormundung empfunden wurden, ließen die Partei bei der Bundestagswahl 2013 auf 8,4 Prozent schrumpfen.

In der Bundesspitze hat man Gründe dafür zu glauben, dass auch der jetzige Höhenflug kein Selbstläufer ist. In der Partei-Zentrale wird eine Civey-Umfrage unter Verschluss gehalten, nach der die momentane Stärke sich vor allem aus der Schwäche von Union und SPD speist.

Für die Grünen wird es nun darauf ankommen, das Momentum zu nutzen und ihr Spitzenduo nicht durch ein Wiederaufflammen der Flügelkämpfe in Frage zu stellen. Allerdings verstehen sich die Grünen mehr als ihre politischen Konkurrenten als Programmpartei. Wenn es darum geht, konkrete Ziele zu beschließen, ist der Streit schnell wieder da. Der Oberrealo Kretschmann gab ein Beispiel dafür, als er beim Bundesparteitag 2017 heimlich gefilmt wurde. Verärgert ließ er sich damals über die Beschlüsse zur Elektromobilität aus. „Wie kann man so ein Zeug verzapfen“, erregte sich Kretschmann und drohte: „Macht euren Wahlkampf selber.“

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