Orthopädie-High-Tech für Gesunde und Kranke

Wien (APA) - Seit Jahrzehnten hat der deutsche Medizintechnikkonzern Otto Bock in Wien einen Forschungsschwerpunkt, aus dem beispielsweise d...

Wien (APA) - Seit Jahrzehnten hat der deutsche Medizintechnikkonzern Otto Bock in Wien einen Forschungsschwerpunkt, aus dem beispielsweise die myoelektrisch gesteuerten Hand- bzw. Armprothesen kamen. Künstliche Intelligenz und Miniaturisierung sollen in Prothesen und Orthesen Menschen mit Einschränkungen ein weitgehend normales Leben ermöglichen, hieß es bei einem Tech-Media-Day des Unternehmens in Wien.

„Wir wollen aus Menschen keine Roboter machen. Wir wollen sie unterstützen. Unsere mechanischen Systeme sollen den Patienten wieder ein möglichst unabhängiges Leben ermöglichen. Jedes unserer Produkte ist Handarbeit“, sagte Hans-Willem van Vliet, Leiter der Forschung und Entwicklung am Otto Bock-Standort in Wien-Simmering.

Die ursprünglich in Wien entwickelten und vom Patienten über seine Nervenimpulse gesteuerten und mittlerweile bis zum bionischen Werkzeug entwickelten Handprothesen sowie ebenso elektronisch gesteuert Beinprothesen sind spektakulär. Mit einer ebenso elektronisch gesteuerten Bein-Orthese (C-Brace) könnte aber beispielsweise viel mehr Menschen als Amputierten geholfen werden: einer Vielzahl von Patienten mit teilweisen Lähmungen in den Beinen oder krankheits- oder altersbedingten Schwächen.

„Ich hatte Kinderlähmung. Ich könnte mich ohne die Orthese nur im Rollstuhl oder sehr schwer mit Krücken bewegen. So schnalle ich die Orthese in der Früh an und gehe den ganzen Tag“, sagte C-Brace-Benutzer Wolfgang K. bei der Präsentation. Die Orthese „spürt“, wie der Versorgte sein rechtes, von der Lähmung besonders betroffenes rechtes Bein bewegen will, blockiert blitzschnell, wenn es ums Stehen geht, gibt die Beweglichkeit des Kniegelenks wiederum beim Gehen frei. Stiegen, Rampen - aufwärts oder abwärts sind kein Problem, die Orthese registriert auch die Art des Bodens und orientiert sich im Raum. „Ich kann mich sogar auf der Stelle drehen“, sagte K.

„Myo Plus“ ist die mittlerweile mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Handprothese. Die ersten myoelektrisch gesteuerten Handprothesen hatten ehemals „nur“ zwei Sensoren, mit denen die Nervenimpulse oberhalb des Armstumpfes für Öffnen und Schließen abgenommen und in Bewegung umgesetzt wurden. „Jetzt sind wir bei acht Elektroden angelangt. Bewegungen samt Rotation sind in fünf Achsen möglich“, sagte van Vliet. Künstliche Intelligenz sorgt dafür, dass die Handprothese intuitiv bemerkt, welche Bewegung der Versorgte als Nächstes vornehmen will. „Ich denke nicht mehr an die Bewegung, die ich mit der Hand machen will. Nur, wenn ich beispielsweise ein zerbrechliches Glas in die Hand nehmen will, brauche ich noch Blickkontakt“, sagte Myo Plus-Anwender Martin Wehrle. Die Prothese lernt die beim Versorgten „typischen“ Bewegungsmuster mit. Der Anwender kann sie individuell „trainieren“.

Gerade auf diesem Gebiet wird die Entwicklung aber in Zukunft hin zu Prothesen gehen, welche Rückmeldungen und Sensorik ermöglichen. Die Stärke des Griffs der Handprothese wird in entsprechend schwächere oder stärkere Vibrationen einer Elektrode umgesetzt und gibt so dem Anwender die notwendigen Informationen zurück. Bei Otto Bock arbeitet man aber auch bereits daran, dieses Rückmeldesystem in die Sensoren zu integrieren, welche die Bewegungen der künstlichen Hand steuern. Der Konzern hat in Wien für die Forschungen auch ein Christian-Doppler-Labor mit der MedUni Wien etabliert.

Weit weg von Krankheit oder Behinderung ist man mit dem „Paexo“-Exoskelett als Teil des neuen Geschäftszweiges „Industrials“. Schnallt man sich das laut dem Konzern „kleinste Exoskelett“ mit einem Gewicht von nur 1,9 Kilogramm um, werden die Arme über einen Elastomer-Mechanismus umso mehr gestützt je mehr sie gehoben werden. Praktisch schwerelos lässt sich damit über Kopf arbeiten. In Autowerken von VW tragen Monteure, welche ständig über Kopf arbeiten müssen, bereits solche Unterstützungssysteme.

Otto Bock, das Unternehmen gibt es seit 1919, beschäftigt in Wien 650 Mitarbeiter. 2017 machte der Medizintechnikbereich des Konzerns weltweit einen Umsatz von fast 930 Millionen Euro und hatte rund 7.000 Beschäftigte. Zu 80 Prozent ist das Unternehmen im Eigentum der Gründerfamilie.