56. Viennale: Skatedoku „Minding The Gap“ offenbart Persönlichstes

Wien (APA) - Es beginnt als Sportfilm und endet als erschütterndes Porträt von drei Freunden: Mit „Minding The Gap“ hat der junge US-Amerika...

Wien (APA) - Es beginnt als Sportfilm und endet als erschütterndes Porträt von drei Freunden: Mit „Minding The Gap“ hat der junge US-Amerikaner Bing Liu einen höchst persönlichen Film über Skateboarding, familiäre Bindungen und häusliche Gewalt abgeliefert, der den Zuseher immer mehr in seinen Bann zieht. Der Dokumentarfilm ist im Rahmen der 56. Viennale am 29. Oktober in der Urania zu sehen.

Rockford im US-Staat Illinois ist nicht gerade das, was man eine blühende Gemeinde nennen kann: Die rund 150.000 Einwohner fassende Stadt hat mit Arbeitslosigkeit und hoher Verbrechensrate zu kämpfen, als junger Mensch scheint man hier auf dem Abstellgleis. Für die Freunde Zack, Keire und Bing zählt aber ohnedies nur eines: ihr Skateboard. Von den Erwachsenen unverstanden, kommen sie ihrem Hobby in jeder freien Minute nach, was Bing in spektakulären Bildern festhält. Kaum eine Straße, die vor ihnen sicher ist.

Glaubt man zunächst, dass der engagierte Regisseur Liu sich mit dieser Fingerübung einfach im dynamischen Sportfilmsektor versuchen will, erkennt man schnell, dass sein Ziel ein anderes ist. Die Skateszenen werden nämlich sukzessive konterkariert vom Blick in das Leben der drei Hauptprotagonisten: Zerrüttete Familien entdeckt man hier, die sich gerade so durchschlagen, wo eine Zurechtweisung schnell mal mit harter Hand durchgesetzt wird und die die Perspektivlosigkeit der jungen Männer keinen Ausweg zu finden scheint.

Die Verschiebung des Fokus geht dabei ebenso langsam wie behutsam vonstatten: Zunächst ist es Zack, der mit seiner Freundin Nina ein Kind erwartet, auf den sich Liu konzentriert und den wir als zwar sorglosen, aber auch dem Alkohol sehr zugeneigten jungen Vater kennenlernen. Mehrfach fällt zu Beginn der Satz „Skateboarden ist für mich mehr Familie als meine Familie“, und das spinnt sich in der Folge auch weiter - wobei der Sport aufgrund alltäglicher Verpflichtungen immer mehr in den Hintergrund rückt.

Keire wiederum ist der jüngste der Gruppe. Dass er der einzige Afroamerikaner der Clique ist, bringt den Themenblock Rassismus ins Blickfeld, allerdings ohne vorschnelle Schlüsse zu ziehen oder gar moralisierend zu wirken. Stattdessen sind es ausdrucksstarke Bilder und die eigenen Wahrnehmungen der Betroffenen, die Liu wirken lässt. Sei es Keires Stellung im Freundeskreis oder Ninas Probleme mit dem immer wütender werdenden Zack, der unter der Last zusammenbrechen zu droht. „Das Leben dreht sich zu schnell“, erfährt man da - und so werden auch gute Vorsätze schnell wieder in den Sand gesetzt.

In einer der eindruckvollsten Szenen sitzt schließlich Liu seiner Mutter gegenüber, die er ebenfalls für „Minding The Gap“ interviewt hat. Sie konfrontiert er offenbar zum ersten Mal mit der Frage nach dem gewalttätigen Stiefvater, der nicht nur ihn mehrfach drangsaliert hat. Hier bricht der Film mehrmals mit der Perspektive, steigt gewissermaßen in den Entstehungsprozess ein, um beide Seiten so offen wie möglich zu zeigen und wird gerade dadurch zum beklemmenden Abbild einer Beziehung, in der zu oft weggeschaut, in der zu oft nichts gesagt wurde.

Schuldige werden in „Minding The Gap“ nicht gesucht. Dieser „Gap“, also der Abstand oder die Lücke, zeigt sich auf unterschiedlichste Weise im Leben der drei Freunde. Mit ihrer Leidenschaft für ein Brett mit vier Rollen wurde viel gefüllt, geradezu überdeckt. Aber letztlich bleibt keinem die Beschäftigung mit den eigenen Problemen erspart. Bing Liu hat einen aufwühlenden, ehrlichen und mitreißenden Film gedreht, für den sicherlich auch einiges an Vertrauen nötig war. Auf diese Weise öffnet man sich wohl nur den allerbesten Freunden.

(S E R V I C E - „Minding The Gap“ läuft bei der Viennale am 29. Oktober um 18.30 Uhr in der Urania sowie am 5. November um 13 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus. www.viennale.at/de/film/minding-gap)