Russland-Experte Mangott: „Putin keinen Kriegsgrund liefern“
Osteuropa-Experte Gerhard Mangott erklärt die aktuelle Eskalation zwischen der Ukraine und Russland vor allem mit innenpolitischen Motiven auf beiden Seiten.
Von Floo Weißmann
Innsbruck –Auf der ukrainischen Seite liege die Zustimmung zu Staatschef Petro Poroschenko wenige Monate vor der Präsidentenwahl bei acht Prozent, sagt der Politikwissenschafter der Universität Innsbruck der Tiroler Tageszeitung. Poroschenko könnte demnach versucht sein, eine militärische Eskalation populistisch für sich zu nützen; oder er könnte versuchen, mithilfe des Kriegsrechts die Wahlen zu verschieben oder zumindest den Wahlkampf stark einzuschränken.
„Auf russischer Seite steht es um die Beliebtheitswerte von Präsident Wladimir Putin auch nicht besonders gut“, sagt Mangott. Das hängt vor allem mit einer sehr unpopulären Pensionsreform zusammen. Früher hatten die Russen für ihre Probleme vor allem die Regierung verantwortlich gemacht, während es beim Kremlchef eine Art „Teflon-Effekt“ gegeben habe. Jetzt hingegen werde Putin „auch persönlich für die Krise verantwortlich gemacht“.
Der Konflikt in dem von beiden Staaten gemeinsam genutzten Asowschen Meer hat sich laut Mangott schon seit dem Frühjahr aufgeschaukelt, als die Ukraine ein russisches Schiff aufbrachte. Seitdem führen Ukrainer und Russen wechselseitige Kontrollen von Schiffen durch. Das führe zu tagelangen Wartezeiten und erheblichen Kosten für jene Oligarchen, die die Häfen kontrollieren. Dazu kommt, dass die Ukraine ihre beiden Tiefsee-Häfen in dem Binnen-Meer verliert. Denn die Brücke, die Russland derzeit über die Meerenge von Kertsch – den einzigen Zugang – errichtet, ist zu niedrig für große Schiffe.
Von russischer Seite liege bereits ein Vorschlag auf dem Tisch, berichtet Mangott: Ende der vor allem für die Ukraine kostspieligen Kontrollen, wenn die Ukraine im Gegenzug die von Russland annektierte Halbinsel Krim wieder mit Wasser versorgt. Doch weil beide Seiten derzeit ein innenpolitisches Interesse an der Konfrontation haben, rechnet Mangott nicht mit einer baldigen Beruhigung der Lage oder gar einer Lösung. Es bestehe das Risiko, dass es zu militärischen Scharmützeln auf See komme. Sollte die Ukraine aber tatsächlich russische Schiffe angreifen, dann „haben die Russen einen Kriegsgrund. Nichts wäre Putin lieber“, meint Mangott. Der Kremlchef werde in so einem Fall „erhebliche Vergeltung“ üben.
Nach Ansicht des Experten müssten deshalb vor allem die Amerikaner auf die Ukrainer einwirken, damit diese von einer weiteren Eskalation absehen und Putin keinen Vorwand liefen. Die Europäer hingegen nehme in diesem Konflikt niemand ernst. Deren seit Monaten anhaltende Mahnungen und Appelle seien „wie ein Brief ans Christkind“.