Poroschenko will mit Kriegsrecht gegen Moskau vorgehen
Kiew/New York (APA/dpa) - Angesichts des Konflikts mit Russland im Asowschen Meer will der ukrainische Präsident Petro Poroschenko das Krieg...
Kiew/New York (APA/dpa) - Angesichts des Konflikts mit Russland im Asowschen Meer will der ukrainische Präsident Petro Poroschenko das Kriegsrecht verhängen und damit für kurze Zeit den Ausnahmezustand in seinem Land erklären. In einer Fernsehansprache betonte der Staatschef, dass der Schritt wegen einer lang vorbereiteten Provokation Russlands in der Meerenge von Kertsch notwendig geworden sei.
Entgegen einer ersten Ankündigung sagte er in seiner Rede, das Kriegsrecht solle erst ab kommendem Mittwoch für 30 Tage in Kraft treten, und nicht bereits an diesem Montag. Das Parlament sollte am Abend darüber entscheiden. Die Eskalation der Lage löste international große Besorgnis aus.
Am Wochenende hatte die russische Küstenwache Patrouillenbooten der ukrainischen Marine die Durchfahrt in der Meerenge von Kertsch vor der annektierten Halbinsel Krim verweigert. Eines der Schiffe wurde dabei gerammt. Später wurden alle drei ukrainischen Schiffe aufgebracht. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB begründete die Blockade mit einer Grenzverletzung. Kiew bestreitet dies.
Poroschenkos Ankündigung sorgte bereits vor Beginn der Parlamentsdebatte für Tumulte im Parlament. Abgeordnete der Radikalen Partei blockierten das Rednerpult und forderten vor einer endgültigen Entscheidung weitere Unterredungen mit dem Staatschef. Die drei Ex-Präsidenten Leonid Krawtschuk, Leonid Kutschma und Viktor Juschtschenko kritisierten, dass die Ausrufung des Kriegsrechts keine Veränderung der Lage bewirken werde. „Sind die Risiken gerechtfertigt? Hilft es im Kampf gegen den Aggressor?“, hieß es.
Poroschenko sagte, das Kriegsrecht werde keine Auswirkungen auf die angepeilte Präsidentenwahl haben, die am 31. März stattfinden soll. „Es sind keine Maßnahmen vorgesehen, die mit Einschränkungen von Rechten und Freiheiten der Bürger oder der Einführung von Zensur verbunden sind“, betonte er. Zuvor war in einem Erlass ein Kriegszustand für 60 Tage erklärt worden, der seit Montagnachmittag gelten sollte.
Moskau betonte, dass der neue Vorfall vor allem Poroschenko im Wahlkampf zugute kommen könnte. In Umfragen liegt er nämlich seit Wochen weit abgeschlagen hinter der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. „Die westlichen Unterstützer Kiews sollen dort jene zur Vernunft bringen, die aus Kriegshysterie politischen Profit schlagen wollen“, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Der Kreml nannte das Vorgehen Kiews deshalb auch eine gezielte Provokation.
Der Konflikt der beiden Nachbarländer dominiert seit fünf Jahren die Schlagzeilen. 2013 hatten Massenproteste zu einer Absetzung des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch geführt. Die anschließende Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und der bis heute andauernde Krieg in der Ostukraine führten zur schwersten Krise zwischen dem Westen und Russland seit Ende des Kalten Krieges. Im Osten beschießen sich Regierungssoldaten und von Moskau unterstützte Separatisten täglich; bisher sind mehr als 10.000 Menschen in dem Konflikt getötet worden.
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in einem Telefonat mit Poroschenko, notwendig seien jetzt Deeskalation und Dialog. Dafür werde sie sich einsetzen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Bei einem Treffen der politischen Direktoren im Normandie-Format im Auswärtigen Amt riefen Deutschland und Frankreich gemeinsam dazu auf, konkrete Schritte zur Deeskalation der Lage zu unternehmen, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß. Zum Normandie-Format gehören Vertreter aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine.
„Die Entwicklungen, die wir rund um das Asowsche Meer sehen, sind außerordentlich besorgniserregend. Wir rufen alle Beteiligten zu größtmöglicher Zurückhaltung auf“, sagte Außenminister Heiko Maas bei einem Besuch in Spanien. Das Außenministerium in Paris teilte mit, man sei „zutiefst besorgt“ über die aktuellen Vorfälle. EU-Ratschef Donald Tusk verurteilte die Anwendung von Gewalt durch Russland.
Bei einer Dringlichkeitssitzung in New York forderte Russland, die Verletzung der Souveränität Moskaus durch die Ukraine zum Thema des Treffens zu machen. Diese Forderung wurde von dem Gremium mit 15 Mitgliedern jedoch mehrheitlich abgelehnt, unter anderem stimmten die USA, Großbritannien und Frankreich dagegen. Sowohl Moskau als auch Kiew hatten zuvor die Dringlichkeitssitzung des Rates beantragt.
Der Europarat warnte vor einer Zuspitzung. „Es ist von allergrößter Wichtigkeit, jede weitere Eskalation in der Region zu vermeiden“, erklärte der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland. Die freie Durchfahrt für Schiffe sei durch ein Abkommen zwischen Russland und der Ukraine seit 2004 garantiert. Dieses Abkommen müsse respektiert werden, forderte Jagland. Sowohl die Ukraine als auch Russland sind Mitgliedsstaaten des Europarats.
Ein Treffen der für Sicherheitsfragen zuständigen EU-Botschafter endete nach rund 90 Minuten ohne greifbare Ergebnisse. Es sei vor allem darum gegangen, ein gemeinsames Lagebild zu erstellen, hieß es im Anschluss aus EU-Kreisen. Die Diskussionen im sogenannten Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) sollten an diesem Dienstag fortgesetzt werden.
Auch die NATO wollte sich mit dem Konflikt befassen. Auf Bitten des ukrainischen Präsidenten sei eine Sondersitzung der NATO-Ukraine-Kommission einberufen worden, teilte das Militärbündnis mit. Nach Angaben aus NATO-Kreisen handelt es sich vor allem um ein symbolisches Zeichen der Unterstützung. Dass sich die NATO direkt in den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland einschaltet, gilt derzeit als ausgeschlossen, da die Ukraine nicht Mitglied des Verteidigungsbündnisses ist.