Internationale Pressestimmen zum Ukraine-Russland-Konflikt

Kiew/Moskau (APA/dpa) - Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland im Asowschen Meer war am Dienstag Inhalt zahlreicher internationaler ...

Kiew/Moskau (APA/dpa) - Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland im Asowschen Meer war am Dienstag Inhalt zahlreicher internationaler Pressekommentare:

„New York Times“:

„Vor allem darf man nicht zulassen, dass Russland mit dieser andauernden Einschüchterung der Ukraine durchkommt. Während es langsam aber sicher seine Kontrolle über die Krim verfestigt, setzt es darauf, dass der Westen weder den Mut noch die Ausdauer hat, immer weitere Strafen zu verhängen oder weitere militärische Unterstützung für die Ukraine zur Verfügung zu stellen. Aber ein direkter Angriff auf ukrainische Schiffe darf nicht straflos bleiben. Deutliche Verurteilungen sind nicht genug. Die Vereinigten Staaten und ihre westlichen Verbündeten können weitergehende Wirtschaftssanktionen verhängen, ihren Schiffen verbieten, in russischen Häfen im Schwarzen oder im Asowschen Meer einzulaufen, oder ihre militärische Unterstützung für die Ukraine verstärken. All diese Möglichkeiten bergen Risiken, Nichtstun aber auch.“

„Washington Post“:

„Am Montagabend Kiewer Zeit hatte das (US-)Außenministerium immer noch nicht auf die Ereignisse in der Meerenge von Kertsch reagiert. Der Vorwurf von US-Botschafterin Nikki Haley gegen Russlands „gesetzlose Handlungen“ kam viele Stunden nach anderen Statements.

Was auch immer die anderen Motive für diese inszenierte Attacke sind, diese Art von Passivität könnte genau das sein, worauf die Russen zählen. Dies ist der Modus Operandi, dem sie in der Vergangenheit gefolgt sind: Ein paar Schritte nach vorn machen, auf Reaktionen warten. Kommt keine, weiter nach vorn bewegen. Kommt eine Reaktion, abwarten, bis sich die Aufregung gelegt hat - und dann weiter voranschreiten. Dieser Vorfall (im Asowschen Meer) könnte hier enden oder auch nicht. Aber man fasse es als Warnung auf: Wenn wir keine breiter angelegte Strategie haben, um diesen Krieg zu beenden, dann wird das das Muster für die nächsten Jahre sein.“

„Moskowski Komsomolez“ (Moskau):

„Um sein politisches Kapital in Form des Präsidentenstuhls zu erhalten, ist Poroschenko zu vielem bereit - auch zu einem lokalen militärischen Zusammenstoß mit Russland. Indem es Gefechte zwischen Marineschiffen beider Länder am Asowschen Meer provoziert, verfolgt das jetzige Kiewer Regime gleich mehrere Ziele. Es stellt auf die Probe, wie entschlossen Moskau ist, seine Interessen auch mit Gewalt zu verteidigen. Die Lage wird absichtlich verschärft, um sich beim Westen in Erinnerung zu bringen und eine neue Welle an Sanktionen gegen Russland hervorzurufen. Doch vor allem geht es allein um einen Vorwahlkrieg, mit dem Poroschenko seinen Status an der Spitze der Ukraine sichern will.“

„Financial Times“ (London):

„Westliche Staaten werden sich wie schon 2014 davor hüten, einen militärischen Schlagabtausch mit Russland zu riskieren. Doch sie sollten klarmachen, dass sie nicht einfach zuschauen werden, wenn Russland das Asowsche Meer ebenso annektiert wie die Krim und dass robuste neue Sanktionen verhängt werden, wenn Moskau nicht die freie Durchfahrt für ukrainische Schiffe garantiert. Das ist natürlich eine wichtige Bewährungsprobe für Donald Trump. Der US-Präsident hat seinem Vorgänger Barack Obama die Schuld am Verlust der Krim zugewiesen, während er sich zugleich weigerte, (Russlands Präsidenten Wladimir) Putin zu kritisieren. Viele Kritiker im Kongress und darüber hinaus werden durchaus bereit sein, Trump zur Verantwortung zu ziehen, wenn das Asowsche Meer in seiner Amtszeit an Russland ‚verloren‘ wird.“

„Neue Zürcher Zeitung“:

„Moskau scheint gewillt, die Krim als ‚Flugzeugträger‘ zu nutzen, um seine Macht über weite Teile des Gewässers zu entfalten. Hier muss die NATO die Ukrainer entschiedener unterstützen, durch verstärkte Patrouillen und Militärhilfe. Dies geschieht auch im Interesse jener Schwarzmeer-Anrainer wie der Türkei oder Bulgarien, die sich scheuen, Moskau gegenüber Härte zu zeigen. Doch vor allem muss der Ukraine-Konflikt auf der politischen Prioritätenliste wieder höher rücken. Das Interesse daran ist in den letzten Jahren merklich gesunken, und neue Ideen sind rar. Dies hat mit der verfahrenen Situation und den geopolitischen Spannungen zu tun, aber auch mit Führungsschwäche und Uneinigkeit im Westen. Doch Unklarheit und Unsicherheit, das zeigt die heikle Lage im Schwarzen Meer, können rasch zu einem Brandbeschleuniger werden.“

„de Volkskrant“ (Amsterdam):

„Der Kreml weiß, dass die Ukraine wenig gegen den russischen Vorstoß ausrichten kann, das Asowsche Meer langsam aber sicher zu einem ausschließlich russischen Gewässer zu machen. Kiew hat nur eine Handvoll Kriegsschiffe in dem Gebiet. (...)

Es besteht die Befürchtung, dass die Kämpfe in der Ostukraine infolge der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine erneut aufflammen könnten. In den vergangenen Monaten war es ziemlich ruhig an der Front um das Rebellengebiet. Aber die Machthabenden in den Separatistengebieten Donezk und Luhansk stehen wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation zunehmend unter Druck durch die eigene Bevölkerung. Und so besteht die Gefahr, dass sie die angespannte Lage für eine neue Offensive nutzen könnten.“

„La Repubblica“ (Rom):

„Es brauchte die Beschlagnahmung von drei ukrainischen Schiffen (...), um die NATO und die EU daran zu erinnern, dass zwischen Russland und der Ukraine seit vier Jahren ein vergessener Krieg tobt. (...) Zehntausend Tote, davon ein Drittel Zivilisten. Es ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs der blutigste Konflikt in Europa nach dem Balkankrieg in den 90er-Jahren. Im Unterschied zu diesem gibt es aber keine symbolischen Städte wie Sarajewo oder Mostar mit seiner berühmten Brücke, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten. Es ist ein stiller Krieg.“

„Magyar Idök“ (Budapest):

„Wenn frostige Winde wehen, gibt es weder Gute noch Böse. Zum moralischen Sieger darf in diesem Konflikt erst recht niemand erklärt werden. Für den Zwist um die Ukraine gibt es nicht einmal in Ansätzen eine Lösung, weil man sich nicht nur (im Westen) vor dem (russischen) Bären fürchtet, sondern auch, weil der Bär nicht unbedingt einen zu starken Gegner angreifen würde. Deshalb ist derzeit jeder daran interessiert, dass der Frost, der sich hinziehende Konflikt, die dubiosen Verhältnisse bestehen bleiben. Langfristig ist alles vorstellbar, die Ukraine wiederum ist zu wertvoll und strategisch zu interessant, als dass sie in echtem Frieden und frei von ausländischer Einmischung leben könnte.“

„Rzeczpospolita“ (Warschau):

„Moskau testet nicht nur die Ukraine, deren Kriegsmarine schwach ist. Es testet vor allem den Westen, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, die zu Beginn des Konflikts sehr langsam reagiert haben. Jetzt ist keine Zeit für Haarspalterei. Insbesondere, da die westlichen Anführer seit der Krim-Annexion und der Aggression im Donbass ihre Einstellung geändert haben - sie lassen verlauten, dass ein Verstoß Russlands gegen Grenzen und internationales Recht nicht geduldet wird. (...)

Die Reaktion muss schnell und entschieden sein, die Drohung mit neuen Sanktionen so wirksam, dass Russland sich nicht dazu entschließt, in diesem Krieg einen weiteren Schritt zu gehen. Besondere Bedeutung wird die Haltung Donald Trumps haben. Er hat jetzt die Chance zu zeigen, dass er während des Treffens mit (dem russischen Präsidenten) Wladimir Putin im Juli in Helsinki keine Versprechen in Bezug auf die Ukraine gemacht hat.“

„Sme“ (Bratislava):

„Es ist sonnenklar, dass die von Russland behauptete ‚Provokation‘ von Russland selbst kam. Sechs verletzte Soldaten, 20 Gefangene und drei beschlagnahmte Schiffe sind nicht gerade der Lottogewinn, der (dem ukrainischen Präsidenten Petro) Poroschenko noch gefehlt hat. Wozu sollten die Ukrainer die russische Küstenwache testen, wenn sie davon keinerlei Vorteil haben können? Es ist wirklich nichts zu sehen, was Kiew aus diesem Zwischenfall gewinnen könnte.

Das Argument, Poroschenko wollte einen Vorwand für die Ausrufung des Kriegsrechts, zählt kaum, denn dafür hätte auch schon die alltägliche Realität in der Ostukraine gereicht oder die Annexion der Krim selbst. (...) Die neue Eskalation zeigt, dass (der russische Präsident Wladimir) Putin sein Vorgehen verschärft und austestet, wie weit er gehen kann.“