„Das Wasser steht mir bis zum Hals“: Briefe Bachmann-Enzensberger

Berlin (APA/dpa) - Er galt als der „zornige junge Mann“ der bundesdeutschen Literatur und sie war die aus Österreich stammende „Ikone“ der d...

Berlin (APA/dpa) - Er galt als der „zornige junge Mann“ der bundesdeutschen Literatur und sie war die aus Österreich stammende „Ikone“ der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Der jetzt veröffentlichte Briefwechsel von Hans Magnus Enzensberger und Ingeborg Bachmann dokumentiert den Versuch Annäherung.

Ingeborg Bachmann sah sich als „eine kleine Kärntnerin, die einmal sehr kühn war und die Welt niederzwingen wollte“ und ihrem Vater beweisen wollte, „daß ich eine gute Tochter bin“. Aber „das Wasser steht mir bis zum Hals“, notiert Bachmann 1966 in ihrem Brief an den deutschen Lyriker und Essayisten Hans Magnus Enzensberger. Die 1926 geborene Bachmann starb 1973 in Rom, Enzensberger wurde am 11. November 89 Jahre alt. Ihr Briefwechsel ist jetzt in der ersten Gesamtausgabe der Werke und Briefe Bachmanns unter dem Titel „Schreib alles was wahr ist auf“ erschienen (Piper und Suhrkamp Verlag).

Bachmanns empfindsames Leiden an der Welt (und den Männern) ist bekannt, ihr vielbeachtetes lyrisches Werk, wohl eines der bedeutendsten nach 1945 im deutschsprachigen Raum („Die gestundete Zeit“, „Anrufung des großen Bären“), legt Zeugnis davon ab. In ihrer Heimatstadt Klagenfurt findet seit 1977 der renommierte Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb für zeitgenössische deutschsprachige Literatur statt. Dass der „zornige junge Mann“ der deutschen Nachkriegsliteratur auch höchst empfindsam und einfühlsam sein konnte oder sich darum bemühte, ist vielleicht eher weniger bekannt und wird in diesen Briefen deutlich belegt. „seit deiner abreise steht die luft still“, schreibt Enzensberger 1959 (in konsequenter Kleinschreibung). „ich fürchte mich sehr und denke immer an dich.“

In seinem kürzlich veröffentlichten Buch über „99 Überlebenskünstler“ (Suhrkamp), in das zumindest vom Titel her Bachmann eher weniger passt, schreibt Enzensberger, er habe Bachmann „gut gekannt, nicht nur bei den zufälligen Begegnungen, die das literarische Leben mit sich bringt“. Von Bachmanns „wichtigsten Liebesbeziehungen“ zeugten die Briefwechsel mit Paul Celan und mit Max Frisch, schreibt Enzensberger. Bachmann habe zeitlebens an Schlaflosigkeiten gelitten und sei von Medikamenten und vom Alkohol abhängig gewesen und habe viele Dramen und Enttäuschungen überlebt.

Enzensberger scheint auch ein „Sensorium“ für Bachmanns Krankheitszustände gehabt zu haben, wie es im Nachwort des von Hubert Lengauer herausgegebenen und mit einem ausführlichen Stellenkommentar ergänzten Briefwechsel heißt. „ich bitte dich, nimm keine tabletten mehr“, mahnt Enzensberger 1962, und ergänzt, quasi als Hilfestellung: „wenn dich gar nichts mehr erheitert, greif in gottes namen zu dem papier und der maschine und zu den wörtern und schreib alles was wahr ist auf...versprich, daß wir uns nicht verschonen wollen.“ Bachmann brauchte den Austausch mit Enzensberger: „Deine Briefe sind die einzigen, die in der Sprache geschrieben sind, die ich verstehe.“

Dabei weiß zumindest Enzensberger offenbar von Anfang an um die Begrenztheit eines Briefwechsels, wenn es um die wirklichen Befindlichkeiten geht. So schreibt er schon zu Beginn 1959, es sei für ihn wichtig, zu wissen, „wie es um dich bestellt ist“, und ergänzt gleichzeitig, es sei „ein unmöglicher wunsch, an dem alles briefeschreiben leidet“. Er selbst habe sich ja auch immer geärgert über Aufforderungen, er möge „wesentlich werden“. Dabei sei er sich sicher, „daß das kein mensch aushält, in einem fort wesentlich zu sein“. Enzensberger vermutet auch eine „asketische Ader“ in Bachmanns „geistiger Natur“, die sehr selten sei. „sie macht dir überhaupt das leben schwer.“

Bachmann will „versuchen, ohne Pillen, ohne Betäubung durchzukommen, das muss doch gehen“, schreibt sie 1962 und kündigt an, nach Berlin zu gehen, „weil das so interessant ist und vielleicht wichtig für mich“. Aber eigentlich habe sie nie etwas für Berlin übrig gehabt. „Ein Ort für Zufälle“ wird sie Berlin in ihrer Büchner-Preisrede 1964 nennen. Nur wenige Jahre später schreibt sie aus Rom: „Ich wäre gern und lieber in Berlin.“ Die Unruhe bleibt, Bachmann bleibt eine „displaced person“ (Vertriebene, Zwangsumsiedler), wie sie sich selber einmal nennt. Man sehe sich ja alle paar Monate in Sizilien oder Russland oder in Berlin. Zwischendurch die Frage: „Wo gibt es neue Flügel zu kaufen?“

Es ist eine zum Teil bewegende Korrespondenz, die oft tiefe Seelenempfindungen und -erschütterungen offenbart, was beim Leser ein zwiespältiges Gefühl hervorruft und die Frage provoziert, ob wirklich alles auch in die Öffentlichkeit gehört. Anderes wiederum wirft für nachgewachsene Generationen durchaus ein erhellendes Licht auf Gesellschaft und Literaturbetrieb, Befindlichkeiten und Positionssuche von deutschsprachigen Intellektuellen in der Nachkriegszeit. Dazu tragen nicht zuletzt auch die umfangreichen und äußerst informativen Stellenkommentare mit nützlichen Ergänzungen bei. Jetzt darf man gespannt sein, ob und wann der Briefwechsel Bachmanns mit Max Frisch erscheinen wird. Geplant ist das Projekt jedenfalls bisher. Der 50. Todestag Bachmanns 2023 wäre ja ein guter Zeitpunkt dafür.

(S E R V I C E - Ingeborg Bachmann - Hans Magnus Enzensberger: „Schreib alles was wahr ist auf - Der Briefwechsel“. Herausgegeben von Hubert Lengauer, Suhrkamp, 480 Seiten, 45,30 Euro)