Brexit - Wie geht es nach dem erwarteten Nein im Unterhaus weiter?
London (APA) - Das Londoner Unterhaus wird am 11. Dezember über das EU-Austrittsabkommen abstimmen. Angesichts der breiten Ablehnungsfront i...
London (APA) - Das Londoner Unterhaus wird am 11. Dezember über das EU-Austrittsabkommen abstimmen. Angesichts der breiten Ablehnungsfront in der Opposition und innerhalb der regierenden Konservativen wäre alles andere als eine klare Ablehnung eine Überraschung. Daher richten sich in London die Blicke bereits auf die Entwicklung nach einem Scheitern des Brexit-Abkommens. Ein Überblick:
FRIST BIS NEUJAHR - Laut dem britischen Austrittsgesetz („Withdrawal Act“) hat die Regierung nach einer Ablehnung des Deals durch das Unterhaus genau 21 Tage Zeit, sich zum weiteren Vorgehen zu äußern, also bis zum 1. Jänner.
EU-GIPFEL 13. DEZEMBER - Zwei Tage nach dem Unterhausvotum kommen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zu ihrem regulären Gipfeltreffen zusammen, dem letzten während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. Premierministerin Theresa May könnte versuchen, ihre Amtskollegen dabei zu Zugeständnissen zu bewegen. Eine Änderung des Austrittsabkommens gilt als wenig wahrscheinlich, eher schon kosmetische Änderungen an der politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Freilich könnten Zugeständnisse der EU zum Bumerang für May werden, die beteuert, dass kein besserer Deal möglich gewesen sei.
ZWEITE PARLAMENTSABSTIMMUNG - May könnte das Austrittsabkommen nach dem EU-Gipfel dem Unterhaus ein zweites Mal zur Abstimmung vorlegen. Dies hätte aber wohl nur dann Erfolgsaussichten, wenn das Abkommen in der ersten Runde nicht mit einer deutlichen Mehrheit abgelehnt wurde.
ZWEITES REFERENDUM - Für Abgeordnete von Regierung und Opposition ist dieses bisher eine heiße Kartoffel, weil sich niemand den Ruf einhandeln will, den Volkswillen zu missachten. Nach Informationen des britischen Senders BBC sind nur acht Tory-Abgeordnete und 44 Labour-Mandatare für ein zweites Referendum. Der seit Monaten für ein zweites Referendum werbende Ex-Premier Tony Blair glaubt aber fest daran, dass es letztlich zu einer zweiten Volksabstimmung kommen wird. Sein Argument: Für keine andere Option wird es im Unterhaus eine Mehrheit geben. Freilich ist völlig unklar, worüber beim Referendum abgestimmt werden soll - über Mays Deal oder den Austritt an sich? Auch ist wahrscheinlich, dass es wieder einen knappen Ausgang geben wird, den die unterlegene Minderheit mit allen Mitteln bekämpfen wird.
NEUWAHLEN - Wahrscheinlicher als ein zweites Referendum scheinen vorgezogene Neuwahlen. May könnte sie selbst anstreben, um sich eine direkte Legitimation für ihren im Parlament torpedierten Deal zu verschaffen. Freilich könnten Neuwahlen auch Folge eines Sturzes der Regierungschefin durch Tory-Hinterbänkler sein. Bisher ist die erforderliche Anzahl von 48 Unterschriften für ein Misstrauensvotum noch nicht zustandegekommen, doch gehen Beobachter davon aus, dass eine Reihe von Unterstützungserklärungen taktisch zurückgehalten wurden, um das Unterhaus-Votum über den Brexit-Deal abzuwarten. Neuwahlen scheinen aber nur sinnvoll, wenn London zuvor einen Aufschub des Austritts beantragt. Gewinnt die oppositionelle Labour Party, dürfte es auf einen „BRINO“ (Brexit in name only) hinauslaufen - einen Austritt nur dem Namen nach mit weiterhin enger Anbindung des Vereinigten Königreichs an die EU.
LOSTAG 21. JÄNNER - Sollte bis zu diesem Tag kein Brexit-Deal vereinbart sein, muss sich die Regierung laut dem Austrittsgesetz innerhalb von fünf Tagen über das weitere Vorgehen äußern. Angesichts des sonst unausweichlichen „harten Brexit“ könnte May dann noch einen letzten Versuch unternehmen, ihren umstrittenen Deal durch das Unterhaus zu bekommen.
VERSCHIEBUNG DES AUSTRITTSDATUMS - Ein ums andere Mal hat May in den vergangenen Wochen und Monaten wiederholt, dass Großbritannien die EU am 29. März 2019 verlassen wird. Eine Verschiebung des Datums, gegen die es von EU-Seite kaum Widerstand geben dürfte, wäre daher ein massiver Gesichtsverlust für die britische Premierministerin.
„NEGOTIATED NO DEAL“ - Vor allem Brexit-Befürworter machen sich für diese Variante stark: Großbritannien soll am 29. März 2019 aufhören, EU-Mitglied zu sein, der eigentliche Brexit aber erst ein Jahr später erfolgen. In diesem Zeitraum soll dann über die künftigen Beziehungen verhandelt werden, die möglichst lose sein sollen. Das umstrittene Austrittsabkommen sieht im Vergleich dazu eine längere Übergangsperiode vor, gibt der EU aber insbesondere Nordirland als Faustpfand für eine weitere enge wirtschaftliche Anbindung des Vereinigten Königreichs.
HARD BREXIT - Passiert nach einer Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das Unterhaus bis zum 29. März 2019 nichts, wird das Vereinigte Königreich nach 45 Jahren enger wirtschaftlicher und politischer Partnerschaft mit dem Kontinent auf einen Schlag zum Drittstaat, mit loseren Beziehungen zur EU als sie etwa die Schweiz (bilaterale Verträge), Norwegen (Europäischer Wirtschaftsraum), die Ukraine (Assoziierungsabkommen), die Türkei (Zollunion) oder Kanada (CETA) haben.