Brexit-Schäden: Londons Notenbank will für Wirtschaft Übergangszeit
London (APA/Reuters/dpa) - Die britische Notenbank fordert eine Übergangsperiode, um die Brexit-Belastungen für die Wirtschaft zu begrenzen....
London (APA/Reuters/dpa) - Die britische Notenbank fordert eine Übergangsperiode, um die Brexit-Belastungen für die Wirtschaft zu begrenzen. Es sei im Interesse des Landes, sich eine gewisse Zeit für den Übergang zu nehmen, sagte Zentralbank-Chef Mark Carney am Donnerstag dem BBC-Radio.
Am Mittwoch hatte er bereits gewarnt, dass ein ungeordneter EU-Austritt die Wirtschaft der Insel noch härter treffen könnte als die weltweite Finanzkrise vor zehn Jahren. Neue Konjunkturdaten zeigten, dass die Unsicherheit vielen Firmen zusetzt.
Ein ungeordneter EU-Austritt könnte in Großbritannien die heftigste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg auslösen. Davon jedenfalls geht die Bank of England (BoE) in einer Analyse verschiedener Brexit-Szenarien aus.
Das Vereinigte Königreich will die EU am 29. März verlassen. Sollte das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen mit der EU bis dahin nicht in Kraft treten können, dürfte die britische Wirtschaft innerhalb eines Jahres um 8 Prozent schrumpfen, schreibt die Notenbank.
Die Arbeitslosigkeit würde nach Einschätzung der BoE merklich zunehmen. Auch an den Finanzmärkten erwartet die Notenbank heftige Reaktionen. So dürfte das britische Pfund um 25 Prozent zum US-Dollar nachgeben. Die Preise für Häuser könnten um knapp ein Drittel fallen.
Der deutliche Rückgang des Pfundes dürfte die Inflationsrate auf 6,5 Prozent steigen lassen. Die Notenbank wäre dann zu deutlichen Leitzinsanhebungen gezwungen. In der Spitze könnte der Leitzins bis auf 5,5 Prozent steigen - was Kredite stark verteuern würde.
Die britischen Großbanken zumindest wären dafür gerüstet, zeigt ein gleichzeitig veröffentlichter Banken-Stress-Test. Anders sieht es bei den Unternehmen und Behörden aus. Umfragen legten nahe, dass das Land noch nicht vollständig auf einen Brexit ohne Abkommen vorbereitet sei, sagte Notenbank-Chef Carney.
Premierministerin Theresa May und ihre Kabinettsmitglieder werben derzeit verzweifelt um Unterstützung für ihr Brexit-Abkommen. Am 11. Dezember soll das Parlament in London über den Deal abstimmen. Bisher scheint es aber mehr als fraglich, ob die Regierung eine Mehrheit für das Abkommen bekommen kann. Damit ist die Gefahr eines Brexits ohne Abkommen noch nicht gebannt.
Auch die britische Regierung hatte am Mittwoch eine Analyse verschiedener Brexit-Szenarien veröffentlicht. Das Bruttoinlandsprodukt wird demnach selbst unter den Bedingungen des ausgehandelten Abkommens im Jahr 2035 um bis zu 3,9 Prozent kleiner sein als ohne den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Immerhin weitaus besser als im Fall eines ungeordneten Brexit. Für diesen Fall sagt die Regierungsanalyse ein um 9,3 Prozent kleineres Bruttoinlandsprodukt vorher.
Die Regierungsanalyse zeige, „dass unser Deal der bestmögliche für Arbeitsplätze und unsere Wirtschaft ist“, sagte Premierministerin Theresa May am Mittwoch bei einer Fragestunde im Parlament.
Der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier sagte, angesichts der komplexen Gespräche in den vergangenen Monaten dürfe das Paket nicht wieder aufgeschnürt werden. Es sei nicht die Frage, wer gewinne und wer verliere. Es gebe beim Brexit nur Verlierer. „Es gibt keinen zusätzlichen Wert“, betonte Barnier.
In der Autobranche schrumpfte die Produktion in Großbritannien bereits den fünften Monat in Folge. Im Oktober gab es nach Branchenangaben ein Minus von 9,8 Prozent. „Ein No-Deal-Brexit wäre eine Katastrophe“, sagte der Europa-Chef des US-Autobauers Ford, Steven Armstrong. Es sei wichtig, dass das vorliegende Abkommen mit der EU jetzt auch ratifiziert werde.
Der Wirtschaftsverband CBI teilte mit, dass im Dienstleistungssektor der Optimismus im November so schwach sei wie seit zwei Jahren nicht mehr. „Die Brexit-Unsicherheit fordert ihren Tribut“, sagte CBI-Chefökonom Rain Newton-Smith.