Russlands Machtdemonstration auf See beschäftigt die G-20
Washington/Moskau (APA/dpa) - Unerwartet hat sich die Gewalt in der Ukraine auf die Tagesordnung des G-20-Gipfels in Argentinien gesetzt. Mi...
Washington/Moskau (APA/dpa) - Unerwartet hat sich die Gewalt in der Ukraine auf die Tagesordnung des G-20-Gipfels in Argentinien gesetzt. Mit einem schweren Zwischenfall auf See erreicht der fast vergessene Konflikt am Rande Europas eine neue Stufe der Eskalation.
In Buenos Aires treffen sich alle, die dazu etwas zu sagen haben: Russlands Präsident Wladimir Putin als ein Hauptbeteiligter, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron als europäische Stimmen, US-Präsident Donald Trump eher als Beobachter von jenseits des Atlantiks. Ein geplantes Treffen mit Putin sagte Trump wegen der Ukraine-Krise kurzfristig ab. Die Ukraine selbst ist nicht dabei, auch wenn es um ihr Schicksal geht. Fragen und Antworten zu der internationalen Krise:
Was ist passiert?
Ein kleiner Geleitzug aus zwei Patrouillenbooten und einem Schlepper der ukrainischen Marine hat am vergangenen Sonntag versucht, aus dem Schwarzen Meer in das kleine Asowsche Meer einzulaufen. Schiffe der russischen Küstenwache, die dem Geheimdienst FSB untersteht, stoppten die Ukrainer vor der Meerenge von Kertsch. Ein russisches Schiff rammte den Schlepper sogar. Dann belauerten die beteiligten Schiffe einander über mehrere Stunden vor der Brücke, die Russland von seinem Festland aus auf die 2014 annektierte Halbinsel Krim gebaut hat.
Gegen Abend drehten die ukrainischen Boote dem FSB zufolge nach Süden Richtung offene See ab. Erst dann wurden sie beschossen. Russische Soldaten kamen an Bord, nahmen die Besatzungen einschließlich der Verletzten fest.
Wichtig ist der Zwischenfall, weil damit auch das Meer zum Schauplatz des seit fünf Jahren andauernden Konfliktes geworden ist. Dabei hat das russische Militär zu Land im Osten der Ukraine immer verdeckt agiert. Nun haben russische Soldaten offen Gewalt gegen ukrainische Soldaten angewendet.
Welche Interessen hat die Ukraine?
Die Ukraine sieht sich als Opfer russischer Gewalt. Und die Fahrt der Boote von Odessa entlang der Krim-Küste zum Asowschen Meer war schon die zweite und deshalb nicht die Provokation, von der die Russen sprechen. Aber die ukrainische Marineführung sprach von einer Demonstration ihres Rechts auf freie Durchfahrt in Kertsch.
Nach dem Zusammenstoß war der ukrainische Präsident Petro Poroschenko schnell mit der Forderung nach dem Kriegsrecht bei der Hand. Im nächsten März steht die Präsidentenwahl bevor, bei der es eher schlecht für ihn aussieht. Nun hat er Sondervollmachten und kann sich im Wahlkampf als Verteidiger der Ukraine zeigen. Ein wichtiges Kiewer Interesse nach dem Vorfall ist, westliche Unterstützung zu organisieren.
Welche Interessen könnte Russland verfolgen?
Im abgefangenen Funkverkehr der russischen Küstenwach-Schiffe sind nicht nur viele derbe Flüche zu hören. Es wird auch klar, dass Druck von oberster Ebene, vielleicht sogar von Putin selbst erfolgte. Unklar bleibt, ob Moskau von dem Husarenritt überrascht wurde. Vielleicht hat es seinerseits nach einer Gelegenheit gesucht, die Meerenge für die Ukrainer zu sperren.
Denn die Folge ist eine Blockade des Asowschen Meeres, das Russland zunehmend als sein Hoheitsgebiet behandelt. Die ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk werden abgeschnitten, über die bisher die Exporte von Stahl und Getreide liefen. Das schwächt die Wirtschaft im latent unzufriedenen Südosten der Ukraine weiter.
Wie geht es weiter?
Schwer zu sagen. Um das Kriegsrecht zu begründen, hat Poroschenko vor einem großangelegten Angriff Russlands gewarnt. Immer wieder gibt es Befürchtungen, dass Russland versuchen könnte, über das Kohlerevier Donbass hinaus die ukrainische Küste zu erobern. Damit könnte es auch eine Landverbindung zur Krim schaffen. Doch das wäre verlustreich. Die wirtschaftliche Blockade der Ukraine von See her dürfte aus Moskauer Sicht das effektivere Mittel sein.
Das russische Recht auf die Meerenge von Kertsch und das Asowsche Meer wird Putin auch in Buenos Aires verteidigen. An ein Abkommen von 2003, in dem beide Länder sich gegenseitig freie Fahrt im Asowschen Meer und durch die Meerenge von Kertsch zusagten, fühlt sich Moskau nicht mehr gebunden. Seit der Einverleibung der Krim gehörten beide Ufer jetzt zu Russland, lautet das russische Argument. Zudem habe die Ukraine den Freundschaftsvertrag mit Russland gekündigt und damit alle Regeln zu Grenzen außer Kraft gesetzt.
Viel wird davon abhängen, wie sich die internationale Gemeinschaft zu dem Konflikt stellt. Ihre Unterstützung gilt prinzipiell der Ukraine. Allerdings sind die EU-Länder vorsichtig mit neuen Wirtschaftssanktionen. Die NATO hält sich zurück damit, Einsätze im Schwarzen Meer auszuweiten.