Aufgeblasene Abgründe: „Volksvernichtung“ im Akademietheater

Wien (APA) - Einen ungustiösen Blick in die Tiefen der menschlichen Seele: Das bot Werner Schwab mit seinem 1991 uraufgeführten Stück „Volks...

Wien (APA) - Einen ungustiösen Blick in die Tiefen der menschlichen Seele: Das bot Werner Schwab mit seinem 1991 uraufgeführten Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“. Im Jahr seines 60. Geburtstag würdigt das Burgtheater den 1994 verstorbenen Dramatiker mit einer Interpretation des Regisseurs und Puppenspielers Nikolaus Habjan, der damit am Donnerstagabend im Akademietheater sein Hausdebüt gab.

Unter einer riesigen, mit Luft gefüllten Plastikblase befindet sich die kleine, derbe Welt der Familien Wurm und Kovacic, die sich als Nachbarn in einem heruntergekommenen Zinshaus gegenseitig auf den Wecker fallen. Über ihnen auf der Galerie, außerhalb der Blase, thront die herrische, unnahbare Witwe Grollfeuer, die zu einer grotesken Geburtstagsfeier lädt, die schlussendlich in der titelgebenden „Volksvernichtung“ mündet. Die alte, feine Dame ist auch die einzige Figur, die an diesem fast dreistündigen Abend nicht durch eine von Habjans gewohnt kunstvoll verstörenden Puppen dargestellt wird. Vielmehr ist es Barbara Petritsch vergönnt, außerhalb des Geschehens auf ihre degenerierten, von Missbrauch und Gewalt getriebenen Nachbarn herabzublicken. Dabei steigert sie sich von der kühl-distanzierten Dame hin zur polternden, durchtriebenen Säuferin, die jedoch bis zum Ende um Haltung bemüht ist.

Innerhalb der Blase agieren in Jakob Brossmanns Bühnenbild Habjan und seine Mitstreiterinnen Dorothee Hartinger, Sarah Viktoria Frick und Alexandra Henkel hinter den Puppen, denen sie neben Händen und Füßen auch die (durch Mikroports verstärkten) Stimmen leihen. Während der erfolgreiche Puppenbauer sich zunächst als verkrüppelter, vom Joch der Mutter geschwächter Hermann ins Zeug legt, überzeugt Hartinger als bissige, verhärmte Frau Wurm, die dem zurückgebliebenen Sohn selbst die zarten künstlerischen Triebe radikal abschneidet. Als man glaubt, es geht in Sachen Demütigung und sexualisierter, inzestuöser Gewalt nicht mehr schlimmer, entführt Schwab im zweiten Akt in die billig aufpolierten Räumlichkeiten der Familie Kovacic, die sich kollektiv ins Delirium trinkt. Dabei schlägt das Familienoberhaupt seiner Ehefrau nicht nur konsequent mit der Bierflasche auf den Kopf, sondern vergeht sich auch in erschreckender Beiläufigkeit an den beiden Töchtern.

Dass es angesichts dieser Kloake aus emotionaler Aussichtslosigkeit, sozialer Verwahrlosung und alkoholgeschwängerter Gewalttätigkeit zum finalen Showdown kommt, wundert kaum. Allerdings geht dem Regisseur Habjan nach der Pause dieser etwas zu lang geratenen Premiere - ebenso wie der Plastikblase - die Luft aus. Während die beiden Familien fein säuberlich an einer Tafel aufgefädelt mit Partyhütchen dasitzen, steigt Petritsch unablässig wankend die zur Galerie führenden Treppen auf und ab, wandert vor der Blase hin und her und sinniert über die Sinnlosigkeit des Daseins (und der eigenen, titelgebenden Leber). Sie bleibt außen vor, während das Volk unter dem einsinkenden Plastik verreckt. Ein sehr sprechendes Bild.

Und hier liegt auch das Hauptproblem dieser Inszenierung: Ob es der mächtigen, sich der Verkrüppelung ausliefernden Fäkalsprache Schwabs gut tut, optisch derart grandios gedoppelt zu werden, ist von Anfang an fraglich und wird im Laufe des Abends bald beantwortet: nein, tut es nicht. Groteske mal Groteske ergibt nicht zwingend Groteske hoch zwei, sondern hebt sich im Ergebnis irgendwie auf. Das ist schade, zumal beides - Schwabs Sprachmacht und Habjans Puppenkunst - für sich selbst genommen sehens- und erlebenswert ist. Auch schleicht sich mehr als 25 Jahre nach der Uraufführung des Stücks eine gewisse Abnützung ein. Das hermetische Setting, in der Schwab höchstpersönliche, innerfamiliäre Abgründe verhandelt, scheint heute wenig zeitgemäß.

Kein äußerer Einfluss, kein innerer Antrieb zum Ausbruch ist diesen Figuren gegeben, die sich in ihrer Ohnmacht sowohl selbst als auch gegenseitig zerfleischen. Da ist es nahezu unmöglich, einen Rahmen zu finden, der die geschlechtliche Nabelschau aufbrechen könnte. Und so bleibt diese „Volksvernichtung“ ein zwar verstörendes, aber seltsam wenig berührendes Stück Kunst. Dieses wurde vom Publikum freilich mit lang anhaltendem Applaus gewürdigt.

(S E R V I C E - „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ von Werner Schwab im Akademietheater. Regie: Nikolaus Habjan, Bühne: Jakob Brossmann, Kostüme: Cedric Mpaka, Puppenbau: Nikolaus Habjan, Marianne Meinl, Musik: Kyrre Kvam, Mit: Dorothee Hartinger, Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Sarah Viktoria Frick, Alexandra Henkel, Barbara Petritsch. Weitere Termine am 2., 9. und 23. Dezember sowie am 2. Jänner. Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at)