Ende der Unterdrückung der Frau nur durch selbstbewusste Männer
Barbara Miller, die Regisseurin des Films „#Female Pleasure“, spricht mit der TT über das noch in allen Weltreligionen geltende sündhafte Frauenbild, den von Rückschritten geprägten Kampf der Frauen, um sexuelle Selbstbestimmung und warum Männer ihre Unsicherheit ablegen müssen.
Von Vanessa Grill
Innsbruck – Die Unterdrückung der Frau ist ein globales Problem. Religion und Gesellschaft versuchen die weibliche Sexualität auszublenden. In ihrem Dokumentarfilm „#Female Pleasure“ widmet sich Regisseurin Barbara Miller fünf Frauen, die jeweils einer der fünf Weltreligionen angehören und eines gemeinsam haben, sie setzen sich für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau ein. In Kunst und Gesellschaft kämpfen sie gegen patriarchalische Strukturen und für Gleichberechtigung.
Mit der Tiroler Tageszeitung spricht die Schweizer Filmemacherin über den von Rückschritten geprägten Kampf gegen sexuelle Unterdrückung, aber auch die Tatsache, dass immer mehr Männer Frauen dabei unterstützten.
Filmabend und Diskussionsrunde mit Barbara Miller
Soroptimist International Club Innsbruck und LEOKINO Innsbruck zeigen den Film #Female Pleasure im Rahmen der Kampagne „Orange the World“. Anschließend an den Film Diskussion mit der Regisseurin Barbara Miller und Eva Pawlata, Gewaltschutzzentrum Tirol, moderiert von Eva Rottensteiner:
3. Dezember, 18.15 Uhr, im Leokino in Innsbruck
TT-Film-Kritik zu #Female Pleasure: https://go.tt.com/2KBsJIp
Ich habe den Film angesehen und er hat mich zutiefst bewegt und noch Tage beschäftigt. Das ist wohl genau das, was Sie damit erzielen wollen?
Barbara Miller: Natürlich hoffe ich, dass der Film zum Nachdenken anregt. Aber auch, dass er Mut macht. Diese Frauen haben Vorbildcharakter — auf der ganzen Welt gibt es Männer, die aufstehen und die Anliegen der Frauen unterstützen. Der Film soll zeigen, dass man gemeinsam auch dauerhaft etwas verändern kann.
Ich bekomme in der westlichen Kultur viel von Frauenbewegungen mit, sodass mir nicht klar war, wie weit wir noch in einem veralteten Frauenbild drinstecken ?
Miller: Mir war das eigentlich auch nicht klar, als ich angefangen habe mit dem Film vor fünf Jahren und gemerkt habe, dass alle Weltreligionen in einem veralteten Frauenbild feststecken. Unsere natürlich eingeschlossen mit Eva und Maria – die eine die Sünderin, die Verführerin und die andere die Mutter, die niemals Sex hatte. Wir haben auch dieses Bild, dass sich Frauen für ihre Körper schämen müssen. Ein schlechtes Gewissen haben, nicht genügen. Das Bewusstsein, dass unsere Körper das Böse in die Welt bringen.
Als mir bewusst wurde, dass es dieses Bild auf der ganzen Welt gibt, war das für mich schon sehr aufrüttelnd. Und wenn ich unsere Kultur anschaue, beinhaltet sie immer noch sehr, sehr viele Aspekte, die uns gar nicht bewusst sind.
Zum Beispiel?
Miller: Wenn wir die heutige Mainstream-Internet-Pornografie anschauen: Das Bild der Frau ist ja nicht mehr verhüllen und den Körper so vor dem Mann schützen, sondern alles enthüllen, alles mit sich machen lassen, nie Nein sagen. Dabei geht es nie um die Selbstbestimmtheit der Frau. Es geht in den Mainstream-Pornos nie um den weiblichen Orgasmus oder Zärtlichkeit. Das Problem bei der Mainstream-Pornografie ist die Vermischung zwischen Gewalt gegen Frauen und Sexualität. Man kann Sexualität zeigen, aber eben so, dass es auch Frauen anspricht und Frauen sich auch verstanden fühlen. Es gibt bereits Bemühungen von Frauen in diese Richtung.
Wenn man eben die Pornografie hernimmt, Stars auf der Bühne, Werbung, Instagram usw. präsentieren Frauen sich häufig selbst als Sexobjekt und unterstützen damit einen Umgang mit Sexualität, unter dem sie eigentlich leiden. Wieso?
Miller: Ich habe das Gefühl, es hat wirklich viel damit zu tun, dass seit Jahrtausenden gesagt wird, ihr genügt nicht, ihr müsst besser, schöner, williger sein, um den Männern zu gefallen. Das kann natürlich ein Ausdruck unserer Gesellschaft sein. So gewinnt man Einfluss, gewinnt man Follower. Aber es gibt natürlich auch Stars, die sagen ganz bewusst „Ich möchte so auftreten, und das muss mich nicht zum Objekt machen.“ Es geht ja nicht darum, dass man nicht sexy sein darf, aber eben so, wie Frauen möchten und nicht, wie es der Norm entspricht.
Doch warum unterdrücken Männer Frauen und bestimmen über deren Sexualität? Die Protagonisten von „#Female Pleasure“ finden für sich verschiedene Antworten. Ist der Grund nun das Machtbedürfnis der Männer oder doch eher die Angst vor starken Frauen?
Miller: Das ist eine Frage, die hab ich mir immer und immer wieder gestellt. Darüber hab ich mit vielen Leuten diskutiert — mit Männern sowie Frauen, mit Expertinnen und Experten. Ich nehme an, es gibt beides: Zunächst die Angst vor einer selbstbestimmten, selbstbewussten Frau, die einem in dem Sinn das Wasser reichen kann. Denn wenn man andere Menschen unterdrückt, kann man sich ja auch stark fühlen und die eigene Unsicherheit überspielen.
Das sieht fast so aus, als wollten Männer nicht, dass Frauen Lust an Sexualität und Freude an ihrem Körper haben?
Miller: Nein, das glaub ich überhaupt nicht. Ich hab für den Film auch viel mit Männern diskutiert und gedreht. Und ich glaube, dass es gerade in unserem Kulturkreis sehr viele Männer gibt, die wollen, dass eine Frau auch Spaß hat und die wollen ein Miteinander, ein gemeinsames Erlebnis. Aber auch wenn man im Film, das Team in Indien hernimmt, das sich für sexuelle Aufklärung einsetzt, sind die Hälfte davon Männer. Auf der ganzen Welt gibt es Männer, die sich für Frauen einsetzen und ihnen zur Seite stehen. Ich hab nur das Gefühl, dass diese Männer bis jetzt eine große schweigende Mehrheit gebildet haben und eigentlich Männern, die wie Donald Trump ein ganz anderes, ein patriarchales Männerbild leben, den Platz überlassen haben. Und ich hoffe schon, dass der Film auch Männer dazu animiert, zu sagen: „Nein, ich möchte gemeinsam mit Frauen eine andere Welt schaffen, wo Männer und Frauen gleichberechtigt, respektvoll, lustvoll miteinander umgehen können.“
Die Protagonistinnen in Ihrem Film mussten an die Öffentlichkeit gehen, um ihrer „Hölle“ zu entkommen. Wird Frauen erst zugehört, wenn der öffentliche Druck zu groß wird?
Miller: Meine Protagonistinnen haben vor dem Film sehr oft Widerstand erlebt. Die Somalierin Leyla Hussein stand unter Polizeischutz und wurde mehrfach angegriffen. Deborah Feldmann, die in einer ultraorthodoxen jüdischen Familie aufwuchs, hat ganz abgelegen in einem kleinen Häuschen mit ihrem Sohn gelebt, weil sie Angst vor den Repressalien ihrer Gemeinschaft und ihrer Familie hatte. Öffentlichkeit bringt ja auch ganz viele Risiken mit. Aber sie gibt natürlich auch einen Schutz. Und Leyla Hussein, meinte, für sie ist es das erste Mal, dass sie so viel Unterstützung und Zuspruch spürt. Wenn Frauen sich nicht trauen, diesen Schritt zu machen, kann man sie auch ganz gut übersehen und nicht hören. Aber das ist ja in vielen Bereichen so.
Doch bei etwas Intimen ist die Hemmschwelle gewiss größer?
Miller: Natürlich, man muss von sich sehr viel preisgeben. Wenn man Zahlen anschaut, auch in westlichen Ländern — 85 Prozent der Vergewaltigungen werden gar nicht angezeigt. Es besteht ja auch bei uns diese Scham und das Gefühl von Schuld. Und wenn wir dann schauen, wie viele Anzeigen überhaupt zu Verurteilungen führen, dann sind wir bei 10 Prozent. Das Risiko, dass einem nicht Gehör geschenkt wird, wenn man mit so einem Erlebnis nach außen geht oder es eben nicht zu Gerechtigkeit kommt, ist auch sehr groß. Das hindert viele Frauen und auch Männer daran, aufzustehen. Dafür braucht es viel Mut. Immer mehr trauen sich. Es geht in die richtige Richtung, aber auch die „Backlashes“ sind heftig.
Was meinen Sie damit?
Miller: Je mehr man über Sexualität, aber auch über sexuelle Übergriffe spricht, je öffentlicher der Diskurs wird, umso weniger werden diese Themen tabuisiert. Aber es gibt auch immer wieder Rückschritte — auch in unserem Kulturkreis: In der Schweiz zum Beispiel ist vor zwei Wochen herausgekommen, dass in den neuen Sexualaufklärungsbüchern wieder die Klitoris nicht drin ist. Fundamentalistisch katholische Kreise haben das als Fachbuch für Schulen herausgegeben und haben natürlich ihre Ideen da einfließen lassen.
Auch wenn man Donald Trump anschaut, wie er über Frauen spricht, dann denke ich, ist der Rückschritt ganz nah.
Aber mehr als 40 Prozent der US-Frauen haben Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Wie ist das zu erklären?
Miller: Das ist für mich absolut unvorstellbar. Diesen Wunsch nach einem starken Mann, der einen rettet, finde ich ganz heftig. Das Problem ist, dass Frauen auch in diesen patriarchalen Denkstrukturen gefangen sind. Und dann oft sehr ähnlich handeln wie Männer, die dieses Machtsystem aufrechterhalten wollen. Frauen erhalten häufig keine Unterstützung vom gleichen Geschlecht. Das liegt daran, dass wir Frauen in einem Denksystem leben, in dem wir ständig andere Frauen kleinmachen, bewerten. Wir verfolgen immer noch diese Ideen, die uns seit Tausenden von Jahren auf der ganzen Welt geprägt haben — nämlich, dass Frauen weniger gut, weniger wert, weniger gescheit sind. Männer können viel inkompetenter sein und man denkt, ach der weiß das schon oder ach, der ist dafür ein ganz lustiger. Bei Frauen wird viel härter geurteilt.
Was raten Sie den Frauen von morgen?
Miller: Zunächst möchte ich Eltern und Lehrern raten, wirklich ihre Kinder, vor allem auch die Mädchen zu selbstbewussten Personen zu erziehen, die Nein sagen dürfen, die ihren Körper kennenlernen dürfen.
Und die neue Generation sollte den Mut haben, im Kleinen wie im Großen für die eigenen Rechte einzustehen und die eigenen Bedürfnisse anzumelden. Im Film sagt Leyla Hussein, „ein Chor von ‚fake orgasm‘“, also von Frauen, die Orgasmen vorspielen, „geht durch die ganze Welt“. Es wäre so wichtig, dass Frauen den Mut haben, zu sagen „du, das ist nicht so gut“ oder „können wir das anders machen“. Ich würde mir so sehr wünschen, dass Frauen ihre Wünsche, ihre Vorstellungen, ihre Träume äußern und auch verwirklichen können und weniger versuchen sich anzupassen und zu genügen.
Und was raten Sie den Männern von morgen?
Miller: Offen zu sein, über eigene Unsicherheiten, eigene Ängste zu sprechen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass Männer offener werden, was ihre Gefühle betrifft. Dass Männer auch selbstbewusster werden, und damit meine ich eben nicht dieses überspielte Selbstbewusstsein „ich bin ein Mann und weiß alles“. Sondern sich ihre Unsicherheit eingestehen, darüber sprechen und dadurch auch wirklich stärker werden. Ich glaube bei Männern ist auch so viel im Argen. In dem Sinne, dass sie Rollenbilder erfüllen müssen. Es ist wichtig, diese Bilder beiseite zu schieben, dass Männer sich eben auch trauen, ihre sanften, gefühlvolleren und liebevollen Seiten zu zeigen.