G-20 - In Buenos Aires ist der Zorn auf den Gipfel groß
Buenos Aires (APA/dpa) - Das Zentrum abgeriegelt, Busse und Bahnen fahren nicht, Millionen Gummigeschoße als Reserve - in Buenos Aires ist d...
Buenos Aires (APA/dpa) - Das Zentrum abgeriegelt, Busse und Bahnen fahren nicht, Millionen Gummigeschoße als Reserve - in Buenos Aires ist der Zorn auf den G-20-Gipfel groß - auch „Hamburg-erprobte“ Demonstranten sind angereist.
Der Moderator gibt sich wirklich alle Mühe, die G-20 als etwas Tolles zu verkaufen. In der Pizzeria Napoles läuft auf den Bildschirmen das Liveprogramm. Gestikulierend zeigt der Mann Grafiken: 85 Prozent der Weltproduktion entfallen auf die G-20-Staaten. 61 Prozent der argentinischen Exporte gehen zu G-20-Partnern. Die Leute schenken dem Fernseher aber keine Beachtung.
Plötzlich bläst sich draußen vor dem Fenster Donald Trump auf. Die Ballonpuppe - der zum Symbol gewordene Baby-Trump in Windeln, mit Smartphone zum Twittern in der Hand - schwankt an Seilen befestigt durch die Luft vor der Pizzeria und dem argentinischen Kongress, die Architekten ließen sich damals vom US-Kapitol inspirieren. Doch als Vorbild taugen die USA im Hier und Jetzt nur noch bedingt.
Der G-20-Gipfel in Buenos Aires, das Schaulaufen der Staats- und Regierungschefs, bringt die Leute eher auf die Palme - denn das Land ist im Krisenmodus, hohe Inflation, Jobverluste, steigende Benzin- und Gaspreise. Am Kongress befindet sich das Camp der Gipfelgegner.
Doch die Stadt ist eine Festung. Schwarze Stahl-Barrikaden überall, Scharfschützen, die auf Panzerwagen rund um die Hotels etwa von Trump liegen. Gewalt bleibt auch deshalb erst einmal aus - nur ein paar Molotowcocktails wurden sichergestellt. Es herrscht ein Klima der Einschüchterung. „Wir hoffen auf friedliche Demonstrationen“, meint die argentinische Sicherheitsministerin Patricia Bullrich.
25 000 Polizisten und Soldaten sind im Einsatz, nach Berichten wurden 15 Millionen Gummigeschoße und zwei Millionen Schuss scharfe Munition angeschafft. Busse und Bahnen waren Freitag außer Betrieb, der Tag wurde einfach zum Feiertag erklärt. Bloß kein zweites Hamburg. Bettina Müller von Attac sagt, trotz der zur Festung umgebauten Stadt und der Anreiseprobleme hoffe man, dass am Ende mindestens 100 000 Menschen auf die Straße gehen werden.
Es gibt engagierte Debatten. So wird beim „Forum der Völker“ über ungerechte Gesundheitssysteme und eine fehlende Besteuerung von Internetgiganten wie Amazon diskutiert - aber auch wie Argentinien die Falklandinseln von Großbritannien zurückbekommen könnte. Melisa Caceres ist Koordinatorin von „Barrios de Pie“ - sie kümmern sich mit rund 6000 Leuten in armen Vierteln um Dinge, wo der Staat nicht mehr da ist - Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Angebote für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. „Wird sind gegen die Regierungen der G-20 - was tun sie für die Menschen ganz unten?“, sagt Cáceres.
Hier im Protestlager wird eine Frau besonders als Hassobjekt gesehen: Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde. „Wenn Lagarde kommt, werde ich marschieren“, steht auf Aufklebern. Der liberale Staatschef Mauricio Macri muss sich 57 Millionen US-Dollar beim IWF borgen, man fürchtet weitere Sozialkürzungen durch IWF-Auflagen - der IWF ist seit der Pleite 2001 verhasst - damals stand der IWF-Chef Horst Köhler am Pranger.
Schon in Hamburg, als ganze Straßenzüge brannten, war Andi König (53) dabei - an den Absperrgittern am Kongress haben er und einige Mitstreiter ein Banner angebracht: „Confluencia de Resistencias - Hamburgo saluda a Buenos Aires“ („Zusammenkunft der Widerstände - Hamburg grüßt Buenos Aires“). Auf einer Pappe steht auch: „G 20 Bier holen“. König meint: „Hier geht die Wirtschaft den Bach runter, ganz viele Leute sind auf der Straße. Das hat alles auch mit der Politik der G-20 zu tun.“ S
ie seien auch für Deregulierung und Fluchtursachen verantwortlich, für Ungerechtigkeit, Zerstörung der Umwelt. Es gebe viel Brimborium und enorm hohe Ausgaben. „Für was? Für schöne Fotos.“ Der Großteil der Menschheit werde an den G-20-Entscheidungen nicht beteiligt. „Hier wird Angst geschürt, von Krieg gesprochen und die Krankenhäuser sind vorsorglich leergemacht worden.“ Gerrit Müller (30) aus Berlin ist hier, weil man gerade auch gegen den rasanten Klimawandel kämpfen müsse. „Buenos Aires ist eine sehr politisierte Stadt“, lautet sein Eindruck.
Es ist der Gipfel der Anderen. Wie im Brennglas manifestiert sich die Spaltung der Welt, nicht nur der G-20 und innerhalb des Westens zwischen USA und EU, sondern auch zwischen den politischen Eliten und dem Volk. Man erwartet sich nichts Besseres, schon gar nicht von Donald Trump - da kann der Moderator im Fernsehen noch so sehr die G-20-Kennzahlen loben. Bei vielen kommt das hier nicht an.
An den Wänden in der Pizzeria Napoles erinnern Bilder des pummeligen Diego Maradona an seine große Zeit beim SSC Neapel. Bessere Zeiten, auch im Fußball. Eine Woche ist das Debakel um das Spiel des Jahrhunderts her, das in einer Farce endete. Die Polizei konnte erst Fans von River Plate nicht abhalten, den Bus der Boca Juniors mit Pflastersteinen zu entglasen - und setzte dann so viel Tränengas ein, dass sich mehrere Boca-Spieler übergeben mussten.
Das Finale der Copa Libertadores, Südamerikas Champions League, erstmals mit den beiden Lokalrivalen aus Buenos Aires, wurde abgesagt - und soll nun am 9. Dezember im Bernabeu-Stadion in Madrid (!) stattfinden. Eine Blamage ist das Ganze auch für Macri, früher selbst Boca-Präsident, so kurz vor G-20. Aber, das sagt auch viel: Die Final-Neuansetzung in Madrid interessiert viele Bürger weit mehr als ein Gipfel, von dem sie eh nicht viel erwarten.