Gipfel in Buenos Aires

Tiefe Krise der G20: Keine Lösungen für gewaltige globale Probleme

Aktivistinnen protestieren am Rande des G20-Gipfels gegen die Mächtigen der Welt.
© AFP

Nach außen wirkt alles ziemlich harmonisch beim G20-Gipfel. Sogar Donald Trump gibt sich ganz handzahm. Doch autoritäre Kumpels, nicht mehr zu übertünchende Risse und gewaltige globale Probleme manifestieren die tiefe Krise der G20.

Buenos Aires – Das wichtigste Ereignis des G20-Gipfels findet nach dessen Ende statt. Als die meisten Staats- und Regierungschefs schon längst abgereist sind, sitzen zwei der Mächtigsten beim Abendessen in einem Luxushotel in Buenos Aires zusammen und entschärfen einen Streit, der die gesamte Weltwirtschaft massiv zu belasten droht. US-Präsident Donald Trump und der chinesische Staatschef Xi Jinping kommen nach monatelanger Auseinandersetzung überein, sich ab dem 1. Januar nicht mehr mit zusätzlichen Zöllen zu bekriegen – und weiter zu verhandeln.

Damit hat dieses zweitägige, von 25.000 Sicherheitskräften bewachte Treffen doch noch ein Ergebnis mit ganz konkreten Folgen. Von der Abschlusserklärung der führenden Wirtschaftsnationen kann man das nicht behaupten. Der größte Erfolg dabei ist, dass es die Erklärung überhaupt gibt. Ein Scheitern der Verhandlungen darüber wäre ein Novum und ein Offenbarungseid der G20 gewesen.

Dürftige Kompromisse bei brennenden Themen

Bei den Themen Migration und Handel gelingen aber nur notdürftige Kompromisse. So können sich die G20-Staaten nicht mehr darauf einigen, sich weiterhin zum Kampf gegen Protektionismus zu bekennen - Trump will sich die Option von Strafzöllen offen halten, die aber das drohende Stottern des Motors der weltweiten Konjunktur noch verstärken könnte.

Immerhin soll die Welthandelsorganisation reformiert werden, um die Spielregeln im Handel untereinander neu zu definieren. Die Multilateralisten in der G20, die gegen Nationalismus und für internationale Regeln und Institutionen kämpfen, verbuchen dies durchaus als Erfolg, weil die WTO somit als internationale Organisation nicht grundsätzlich infrage gestellt wird. Aber auch die Amerikaner jubeln: Endlich, so heißt es aus dem Weißen Haus, sei der Reformbedarf bei der WTO erkannt.

Beim Klimaschutz bleibt es beim US-Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen. Die anderen 19 betonen, für sie sei das Übereinkommen von Paris unumkehrbar – mit Verpflichtungen zu einem geringeren CO2-Ausstoß soll die Erderwärmung auf maximal zwei Grad begrenzt werden. 19 gegen einen, wie auch schon beim G20-Gipfel in Hamburg. Trump hofft sogar, dass er weitere Abtrünnige aus der Klima-Übereinkunft herauslösen kann.

Bezeichnend für Zustand der Welt

Die Risse unter den größten Wirtschaftsnationen, die Krise des Westens, das alles lässt sich auch in Buenos Aires nicht übertünchen. Nächtelang feilen die Sherpas an Formelkompromissen, die dann jeder nach Gutdünken interpretieren kann.

Es ist bezeichnend für den Zustand der Welt, dass hart gerungen werden muss, um in der Abschlusserklärung überhaupt noch ein Bekenntnis zum Multilateralismus unterzubringen, dem Ringen um gemeinsame Leitplanken in der internationalen Politik. Ganze drei Mal taucht das Wort „multilateral“ im Kommuniqué auf, nur ein Mal ein Lieblingswort von Kanzlerin Angela Merkel: „regelbasiert“.

Merkel: „Es lohnt sich dafür zu kämpfen“

Die deutsche Regierungschefin ist nach Buenos Aires gekommen, um in Zeiten von Abschottung und Kriegsgefahren die Fahne dieses Multilateralismus hochzuhalten. „Es lohnt sich, dafür zu kämpfen“, sagt sie. „Bisher haben die Kämpfe auch immer gewisse Erfolge gezeigt. Aber es ist schwerer geworden.“

Diesmal hat Merkel für ihren Kampf nur wenig Zeit. Ihre Flugzeugpanne verkürzt ihre Gipfelteilnahme fast um einen ganzen Tag. In die wenigen Stunden, die ihr noch bleiben, packt sie alles, was sie sich für zwei Tage vorgenommen hatte. Fünf bilaterale Gespräche, zwei Arbeitssitzungen in großer Runde, dazwischen noch ein Termin für die Medien. Der mit ihr gereiste Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von „Speed-Dating“. Beide gehören zur Fraktion: Reden lohnt sich.

Merkel macht nach dem Beginn ihres Rückzugs auf Raten aus der Politik nicht den Eindruck einer „lahmen Ente“ auf der Weltbühne. Im Gegenteil: Sie wird gebraucht, auch wenn sie gerade in Klimafragen selbst längst nicht mehr Vorreiterin ist: Stichwort Kohle- und Dieselpolitik.

Aber gerade in der verworrenen Lage im Ukraine-Konflikt schauen nun viele auf sie. Deutschland versucht hier zwar seit viereinhalb Jahren einigermaßen erfolglos zu vermitteln, genießt aber immer noch mehr Vertrauen auf beiden Seiten als jedes andere Schwergewicht in der internationalen Politik. Auch Trump sieht das so: „Angela, lasst uns Angela einbeziehen“, forderte er kurz vor dem Gipfel mit Blick auf die Festsetzung ukrainischer Schiffe durch die russische Küstenwache vor der Halbinsel Krim.

Putin richtet heftige Drohung an Ukraine

Merkel versucht, in einem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu deeskalieren. Der zeigt sich aber wenig entgegenkommend. Nach Gipfelende richtet er im Stile Trumps eine heftige Drohung an die ukrainische Regierung: „Das ist eine Partei des Krieges, und solange sie an der Macht ist, werden Tragödien dieser Art und der Krieg andauern.“

Mit Trump redet Merkel auch, 30 Minuten lang, in einem schmucklosen Raum in der Messehalle am Rio de la Plata. Der schwärmt erst einmal von der „großartigen Beziehung“ zur Kanzlerin. Aber wo er Deutschland sonst gerne mal via Kurznachrichtendienst beschimpfte, gibt er sich am Rio de la Plata ziemlich zahm – er will diesen Gipfel anders als beim G7-Treffen im Mai nicht sprengen.

Keine Distanz zum saudischen Kronprinzen

Das heikle Thema Saudi-Arabien überlässt der US-Präsident inmitten der Affäre um den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul seinem Außenminister Mike Pompeo. Einen Handschlag mit dem saudischen Kronprinzen, so wie Wladimir Putin ihn zelebrierte, wollte Trump nicht. Ohnehin wird Mohammed bin Salam sehr freundlich behandelt. Offene Kritik oder auffällige Distanz: Fehlanzeige. (dpa)