Beipackzettel schreckt viele ab
Beipackzettel sind aufgefaltet zuweilen so groß wie Zeitungen. Allerdings ist ihr Inhalt meist schwieriger zu entschlüsseln. Zwei Experten klären auf, ob all die Informationen Sinn machen.
Von Judith Sam
Innsbruck –Optisch sind sie so aufwändig gefaltet wie manches Origami-Kunstwerk, inhaltlich geben sie oft Rätsel auf: Die Rede ist von Beipackzetteln. Sie sollten möglichst verständlich über Risiken und Nebenwirkungen aufklären. Theoretisch jedenfalls. „Praktisch werden sie von Jahr zu Jahr länger und teils komplizierter zu verstehen“, sagt Christoph Baumgärtel von der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit).
Diese Entwicklung überrascht den Leiter der medizinischen Begutachtung nicht: „Beipackzettel dienen nicht nur der Aufklärung, sondern sind auch eine Art juristische Absicherung für die Hersteller.“ Darum ist selbst bei gängigen Kopfschmerztabletten die Rede von Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Entzündungen und Hirnblutungen: „Das Arzneimittelgesetz schreibt vor, dass jede noch so unwahrscheinliche Nebenwirkung aufgelistet wird.“
Kein Wunder, dass die Hiobsbotschaften so manchen Patienten davon abhalten, ein Mittel einzunehmen. „Rund jeder dritte Österreicher ist manchmal so beunruhigt, dass er das Medikament, das ihm verschrieben wurde und wichtig für seine Gesundheit ist, lieber auf dem Nachtkästchen verstauben lässt, als Nebenwirkungen zu riskieren“, zitiert Baumgärtel eine Studie des Marktforschungsinstituts GfK. Die gibt auch an, dass 90 Prozent der Österreicher die Beipackzettel lesen. Das sei im EU-Vergleich ein sehr gutes Ergebnis.
Um dies weiter beizubehalten, arbeiten Baumgärtel und seine Kollegen daran, Beipackzettel verständlich zu gestalten: „Im Rahmen der Zulassung jedes Medikaments, das in Österreich auf den Markt kommt, prüfen wir den Inhalt der Beipackzettel. Dazu vergleichen wir ihn mit den Daten der klinischen Studien, die uns die Pharmafirmen schicken.“
Keine leichte Aufgabe, denn die Unterlagen umfassen bis zu 100.000 Seiten. Ein Teil davon muss für Laien verständlich im Beipackzettel erklärt werden. „Da gilt es im Grunde, jedes Wort zu prüfen. Fast immer finden wir Punkte, die wir ändern wollen. Mal fehlen Warnhinweise, mal sind Passagen schlecht formuliert“, sagt Baumgärtel.
Anschließend werden zehn bis 20 Patienten für Lesetests eingeladen: „Die haben rund 20 Minuten Zeit, um den Beipackzettel zu lesen. Anschließend werden ihnen Fragen dazu gestellt. Können sie die nicht beantworten, weil der Text noch zu unverständlich ist, muss die Pharmafirma ihn so lange adaptieren, bis er den Test besteht.“
Damit nicht genug: Bei neuen Wirkstoffen gibt es zwei- bis dreimal jährlich Änderungen der Beipackzettel, bei älteren rund alle fünf Jahre: „An den Mitteln wird ständig weitergeforscht. Erst wird etwa eine Substanz gegen Rheuma verkauft. Dann findet man heraus, dass sie auch gegen andere Autoimmunerkrankungen wie Morbus Bechterew wirkt – was natürlich im Beipackzettel vermerkt wird.“
Für Ärzte gibt es übrigens eine spezielle Form von Beipackzetteln – die so genannte Fachinformation –, die rund die doppelte Datenmenge enthält. Diese Informationen und Fachausdrücke wären für Patienten zu verwirrend. Ärzte hingegen brauchen sie, um Details des Medikaments zu kennen. Darf man es etwa mit anderen Tabletten kombinieren oder ist es für Patienten verträglich, die an einer weiteren Krankheiten leiden?
„Trotz dieses wichtigen Inhalts wird die Fachinformation von zu wenigen Ärzten gelesen“, kritisiert Baumgärtel. In den USA gäbe es Studien, in Österreich Gerichtsverfahren, die das belegen: „Es gab Todesfälle, weil Substanzen falsch dosiert waren. Die zuständigen Ärzte sagten dazu aus, dass in den Beipackzetteln nichts von den Komplikationen gestanden wäre. Hätten sie die Fachinformation gelesen, wären sie umfassend informiert gewesen.“
Im Optimalfall sei es jedoch nicht notwendig, den Beipackzettel zu lesen. Davon ist Matthias König, Präsident der Landesgeschäftsstelle Tirol der Österreichischen Apothekerkammer, überzeugt: „In der Apotheke sollten Kunden umfassend über Nebenwirkungen, Aufbewahrung sowie Anwendung informiert werden und was wann und in welcher Dosis einzunehmen ist.“
Der Apothekenleiter in Innsbruck und sein Team müssen die Details zu rund 15.000 in Österreich registrierten Medikamenten kennen: „Um das zu gewährleisten, werden mehrmals wöchentlich Fortbildungen für Pharmazeuten organisiert.“ Der Teufel liegt nämlich im Detail. „Am Tag dreimal eine Tablette“ bedeutet nicht, dass man drei auf einmal nehmen soll, sondern alle acht Stunden eine. Auch gilt es, sich erst zu informieren, ob die Tablette dieselbe Wirkung hat, wenn man sie vor dem Schlucken zerteilt. Manchmal schützt die Ummantelung nämlich vor dem bitteren Geschmack des Wirkstoffs.
Bestehen dazu Fragen, kann man in der Apotheke nachfragen oder Beipackzettel und Fachinformation jedes Medikaments, das in Österreich zugelassen ist, online nachlesen: pharmaweb.ages.at