Festspiele Erl

Wenn die Hoanzen zu Kreuzen werden

Die Komikerin Liesl Karlstadt (Isabel Karajan), an einem Tiefpunkt ihres Lebens gefährlich integriert in eine Gebirgsjägereinheit der Nazis in Tirol.
© Elia Roman

Umjubelte Uraufführung von Christian Spitzenstaetters Oper „Stillhang“ bei den Tiroler Festspielen Erl.

Von Ursula Strohal

Erl –Alles ist sperrig, eckig, unwegsam, gefährlich. Ein Flakscheinwerfer und eine Flakkanone. Es ist Krieg, 1941. Die jungen Rekruten einer Tiroler Gebirgsjägereinheit singen „Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod“, aber sie wissen noch nichts vom Krieg. Nur einer von ihnen, er wird sich in die Tiefe stürzen.

Die Männer retten eine Frau vor dem neuerlichen Selbstmordversuch. Es ist die auch als Partnerin Karl Valentins berühmte Komikerin Liesl Karlstadt. Sie ist am Ende.

Nun aber bleibt sie, glücklich, auf der Alm zwischen Ehrwald und der Zugspitze als Obergefreiter Gustl, eine Gegnerin des Nazi-Regimes, dessen Männeruniform sie trägt. Isabel Karajan verkörpert sie zwischen zurückgenommener Fraulichkeit und Männerrollenerfahrung, den Wunden der Erinnerung und verdeckter Sehnsucht, Kraft und Zerbrechlichkeit mit Momenten Valentinscher Wahrheits-Absurdität.

Die Oper „Stillhang“, in Erl am Freitag uraufgeführt und nun frei für lohnende Zugriffe, ist ein entdeckungswürdiges Stück zeitgenössischen Musiktheaters. Ein Gesamtkunstwerk, in das jeder Mitwirkende spürbar verstrickt ist.

Die im Kern wahre Geschichte verwandelte Klaus Ortner in ein gekonntes Libretto aus Lebensgefahr, Naivität, Idylle und scharfer Polit-Brisanz, wenn der SS-Kommandant an der Nase herumgeführt und eine Hakenkreuzfahne für die Kostümierung eines buddhistischen Ritus zerteilt wird.

Das grandios vieldeutige, stachelige Bühnenbild baute Peter Lorenz aus unzähligen Hoanzen, die gewohnt sind, im Sommer Heu zu tragen und nun bei dem jäh zerbrechenden Heile-Welt-Spiel zu einem Himmel voller Kreuze werden.

„Stillhang“: In der berührenden Schlüsselszene erzählt Liesl von der stillenden Mutter. Und Komponist Christian Spitzenstaetter beginnt und endet mit Stille in Form echolosen Dirigierens.

Was dazwischen tönt, ist großartig. Eine Musik, die mit Jazzharmonien, ein wenig Volksmusikmelos und klassischen Wendungen Vertrautes anspricht – nicht lang genug, um sich darin einzurichten, weil da eben doch ein im Bereich aktueller Musik angesiedelter, eigener Tonfall dominiert.

Es ist Musik, die mit Sprachrhythmus, mit Fülle und Auslassung, mit Sensibilität, Poesie und energischem Zugriff spielt, die „hörbar“ sein will, letztlich aber doch von kompromisslosem Anspruch ist. Die Farben, von den Mitgliedern des KOMP.ART-Orchesters fabelhaft geliefert, kommen von mehreren Percussionsfeldern, Klarinetten und Saxophon samt ihren tiefen Brüdern, Streichquartett mit Bratschen-Schwerpunkt, Akkordeon und Klavier.

Die Soldaten diversen Ranges und ein Muli sind in ihrer Differenziertheit bestens besetzt mit Thomas Lichtenecker, Frederik Baldus, Johannes Puchleitner, Sascha Zarrabi, David Zürcher, Josef Ruppert, Martin Schwärsky und Olivier Kessi. Jubel im ausverkauften Erler Festspielhaus.

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