Österreichische Medizinerin 2 - Sandstrand, Bikini und minus 80 Grad
Wien/Antarktis (APA) - Frage: Was war Ihr bester Moment in dem Jahr?...
Wien/Antarktis (APA) - Frage: Was war Ihr bester Moment in dem Jahr?
Carmen Possnig: Die Midwinter Woche. Am 21. Juni wird in allen antarktischen Stationen Midwinter gefeiert - der Moment, an dem die Sonne sich uns wieder nähert. Das Fest dient zur Aufheiterung und zum Teambuilding in dieser oft schwierigen Zeit - schließlich war es zu dem Zeitpunkt bereits fast zwei Monate lang komplett finster. Wir hatten fünf Tage „Ferien“ und Zeit zum Feiern, jeder Tag hatte ein anderes Thema. Wir verbrachten Wochen davor unsere Freizeit damit, Dekorationen und Kostüme zu basteln und diverse Aktivitäten zu planen. Wir hatten zum Beispiel einen Tropical Island-Abend, zu dem wir einen Raum in einen Strand verwandelten und ihn aufheizten, damit wir in Badehosen und Bikinis kommen konnten. Oder den traditionellen „Gallier vs Römer-Tag“ - die „Concordia“-Station wird ja von den Franzosen und Italienern betrieben und bewohnt - an dem wir sehr eindrucksvoll kostümiert diverse Spiele und sportliche Herausforderungen meistern mussten.
Frage: Und was war ihr furchtbarstes Erlebnis?
Possnig: Das war am Beginn des Winters, als ich noch wenig Erfahrung hatte mit dem Arbeiten bei niedrigen Temperaturen - unsere niedrigsten waren um die minus 80 Grad Celsius, mit Windchill-Faktor also etwa minus 100 Grad Celsius. Ich musste regelmäßig meine etwa zwei Zentimeter großen Blutröhrchen (für ihre medizinischen Untersuchungen nahm Possnig den Crew-Mitgliedern regelmäßig Blut ab, Anm.) außerhalb der Station in einem Container lagern. Es war unmöglich, diese zu sortieren, ohne zumindest die äußerste der fünf Handschuhschichten auszuziehen. Ich hatte zusätzlich noch chemische Handwärmer, und ein Handschuhpaar war elektrisch gewärmt - aber bei minus 80 Grad hilft auch das nicht lange. An diesem Tag bekam ich ein seltsames Gefühl in meiner linken Hand, dachte mir aber nicht viel dabei und arbeitete weiter. Am Weg zurück zur Station merkte ich, dass ich nicht klar denken konnte und schwindlig war. Zum Glück schaffte ich es zurück in die Station, und beim Ausziehen der Handschuhe wurde klar, dass meine Finger Erfrierungen hatten - einer war bereits etwas unangenehm dunkel verfärbt. Die nächste Stunde verbrachte ich damit, unter großen Schmerzen wieder auf eine halbwegs normale Körpertemperatur zu kommen. Hypothermie ist eine der größten Gefahren dort und einer der Gründe, warum wir ständig ein Funkgerät mit uns herumtrugen, wenn wir uns draußen aufhielten. Kleinere Erfrierungen waren unvermeidlich und bald Teil des Alltags - „Was hast du dir heute abgefroren?“ war Smalltalk-Thema während des Abendessens, größere wie die oben beschriebene waren aber selten und glücklicherweise haben wir alle noch zehn Finger.
Frage: Haben Sie es jemals bereut, sich für diese Mission gemeldet zu haben?
Possnig: Nein, absolut nicht. Es war eine wunderbare Erfahrung, ich würde es wieder machen.
Frage: Sie haben ja verschiedene Experimente mit den Crew-Mitgliedern durchgeführt - ist alles nach Plan gelaufen?
Possnig: Natürlich nicht. Eine der Herausforderungen dort ist es, dass man diverse Probleme, die auftauchen, mit den wenigen vorhandenen Mitteln kreativ lösen muss. Und natürlich ist man zusätzlich ständig dabei, die Crewmitglieder zu motivieren, die ja alle freiwillig an den Experimenten teilnehmen. Das war wahrscheinlich der anstrengendste Part meines Aufenthalts, möglichst neutral zu bleiben in Konflikten und stundenlang zu diskutieren, warum meine Experimente sinnvoll sind. Immerhin habe ich sehr viel gelernt aus dieser Situation, und ich habe viele gute Rohdaten gesammelt.
Frage: Gibt es schon erste Ergebnisse der Experimente?
Possnig: Die meisten Proben werden in Europa noch genauer analysiert. Ich habe aber zum Beispiel beobachten können, dass das Immunsystem stark auf die beinahe sterile Umgebung reagierte. Die Aktivität der Immunzellen nimmt ab. Das war auch ein Grund, warum wir alle krank wurden, als die ersten neuen Leute im Sommer ankamen und neue Viren mitbrachten. Und auch unsere kognitive Leistungen nahmen deutlich ab während der langen Dunkelheit.
Frage: Sind Sie noch an der weiteren Auswertung der gesammelten Daten beteiligt?
Possnig: Nein, der Vertrag mit der ESA läuft nur während dem Aufenthalt.
Frage: Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter, haben Sie schon Pläne?
Possnig: Ich würde gerne im Bereich der Weltraummedizinforschung bleiben, also einen PhD in der Richtung machen.
(Das Interview führte Christian Müller/APA per Email)