Abseits des Trends: Kaiserschnitt-Plus auch wegen größerer Kinder
Wien (APA) - Die zunehmende Zahl an Geburten per Kaiserschnitt ist nicht nur eine gesellschaftliche Modeerscheinung. Wiener Forscher zeigen ...
Wien (APA) - Die zunehmende Zahl an Geburten per Kaiserschnitt ist nicht nur eine gesellschaftliche Modeerscheinung. Wiener Forscher zeigen nun im Fachblatt „Proceedings of the Royal Society B“, dass die teils starken Unterschiede zwischen Ländern auch auf Unterschiede bei der Zunahme der Körpergröße zurückzuführen sind.
In Brasilien, Ägypten und der Türkei liegen die Kaiserschnittraten um die 50 Prozent - ein deutlicher Hinweis, dass in vielen Ländern der Eingriff vielfach auch ohne direkten medizinischen Grund vorgenommen wird. In Österreich beträgt die Kaiserschnittrate aktuell rund 30 Prozent, während sie in aus medizinischer und gesellschaftlicher Sicht vergleichbaren Ländern in Skandinavien nur etwa 15 Prozent ausmacht. In Italien, Portugal oder Rumänien kommen wiederum über 35 Prozent der Kinder per Sectio zur Welt. Die frappanten Unterschiede werden meist auf sozioökonomische, rechtliche und kulturelle Unterschiede zurückgeführt, heißt es am Mittwoch in einer Aussendung der Universität Wien.
Philipp Mitteröcker vom Department für Theoretische Biologie forscht seit einiger Zeit zu den Ursachen und Auswirkungen dieser Praxis. In der aktuellen Untersuchung gehen der Evolutionsbiologe und Anthropologe sowie seine Kollegin Eva Zaffarini der Frage nach, welche Rolle hier Größenveränderungen von Mutter und Kind über die Zeit hinweg spielen - sprich, welche Rolle die tatsächliche Schwierigkeit der Geburt spielt.
Im Zeitraum zwischen 1896 und 1996 errechneten die Wissenschafter eine durchschnittliche Zunahme der Körpergröße der Neugeborenen von rund einem Millimeter pro Jahr. Bis in die 1960er-Jahre traf das auf alle Länder zu, für die es Datenmaterial gab. Verantwortlich für diesen aus evolutionärer Sicht rapiden Anstieg sind deutlich verbesserte Lebensbedingungen in vielen Ländern. „Nachdem aber der Fötus gegenüber der Mutter eine Generation voraus ist, erfährt dieser im Schnitt noch bessere Umweltbedingungen als die Mutter“, so Mitteröcker. Mit ihrer Größenzunahme entwachsen die Babys im Schnitt aber auch dem mütterlichen Geburtskanal. Die besseren Bedingungen führen somit zu einem Missverhältnis, mehr Geburtskomplikationen und mehr Kaiserschnitten.
Zwischen 1971 und 1996 hingegen flachte die Kurve der Größenzunahme in einigen Industrieländern ab und in vielen Ländern Afrikas kehrte sich die Entwicklung sogar um. „Wir haben daher die Hypothese aufgestellt, dass die umweltbedingte Veränderung der Körpergröße während der letzten Jahrzehnte die aktuelle Kaiserschnittrate eines Landes beeinflusst“, so der Wissenschafter.
Abseits von der jeweiligen sozioökonomischen Entwicklung, des Zustandes des Gesundheitssystems und medizinischer Risikofaktoren in den unterschiedlichen Ländern zeigte sich, dass im Zeitraum von 1971 bis 1996 rund ein Drittel der Unterschiede in den Kaiserschnittraten auf die Körpergrößenveränderung und damit die durchschnittliche Schwierigkeit der Geburt zurückgeführt werden können. Die beobachtete Zunahme der Körpergröße der Babys um durchschnittlich einem Millimeter pro Jahr alleine erhöht demnach die Sectio-Rate um rund zehn Prozent.
Die Studie zeige einmal mehr, wie eng Reproduktion und Geburt mit lokalen sozioökonomischen Entwicklungen und Veränderungen der unmittelbaren Umwelt zusammenhängen, heißt es in der Aussendung. Das werfe auch Fragen zu der von der WHO postulierten anzustrebenden Kaiserschnittrate von zehn bis 15 Prozent infrage. Mitteröcker: „Menschliche Biologie und Gesundheit sind nicht statisch, sondern im Fluss, und können sich, beeinflusst durch sozioökonomische und medizinische Veränderungen, lokal unterscheiden.“
(S E R V I C E - https://doi.org/10.1098/rspb.2018.2425)