Wie die SPD den Makel von Hartz IV abstreifen will

Berlin (APA/Reuters) - Die SPD will eine Reform vergessen machen, die sie wie keine andere für ihren Niedergang in der Wählergunst verantwor...

Berlin (APA/Reuters) - Die SPD will eine Reform vergessen machen, die sie wie keine andere für ihren Niedergang in der Wählergunst verantwortlich macht. „Wir lassen Hartz IV hinter uns“, kündigte Parteichefin Andrea Nahles am Mittwoch in einem RND-Interview an. Beschlossen werden soll dies am Sonntag, wenn der Parteivorstand zu einer Klausur zusammenkommt.

Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt, das Arbeitslosengeld länger gezahlt werden. Von Arbeitsmarktexperten mit Nähe zu den Gewerkschaften gibt es Zuspruch, aus der Wirtschaft scharfe Kritik. „Eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf bis zu 33 Monate wäre das Falscheste, was man machen kann“, sagte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu Reuters.

Mit ihren Reformvorschlägen für die Arbeitsmarktpolitik und die soziale Absicherung von Arbeitslosen will die SPD aus ihrer Dauerkrise herausfinden. Kaum ein Projekt spaltet die Partei so sehr wie die Agenda 2010 unter dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit der 2005 auch die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen in Kraft traten. Damals verzeichnete Deutschland das Rekordhoch von fast 5,3 Millionen Arbeitslosen, die SPD kam bei der Bundestagswahl noch auf 34 Prozent. Mittlerweile ist die Arbeitslosenzahl weit mehr als halbiert auf ein Rekordtief - ebenso wie die SPD, die in Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent rangiert.

Teile der SPD-Linken machten bereits deutlich, dass ihnen die Vorschläge nicht weit genug gehen. „Ich erwarte von meiner Partei, dass sie radikal mit dem Hartz-System bricht“, forderte die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis. In der CDU heißt es über den Koalitionspartner, die SPD wolle alles abschaffen, was unter Schröder eingeführt worden sei, um wieder zu alter Größe zu kommen. „Das halte ich für eine Illusion“, sagte ein CDU-Arbeitsmarktexperte.

Forscher sind sich einig, dass die Arbeitsmarktreformen unter Schröder den Beschäftigungsaufschwung mit ermöglicht haben. „Die Hartz-Reformen haben viel zum Ende der Massenarbeitslosigkeit und zum Arbeitsmarktaufschwung in Deutschland beigetragen“, sagte der Wissenschafter Enzo Weber vom IAB-Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit. Er begrüßt, dass die SPD stärker auf Qualifizierung von Beschäftigten und Arbeitslosen setzen will. Man lebe in Zeiten von zunehmender Arbeitskräfteknappheit und schwacher Produktivitätsentwicklung. „Das erfordert einen Fokus auf Qualität statt Quantität.“

Über die Details der SPD-Vorschläge streiten Experten aber. So will die SPD nach Stand ihrer Überlegungen für Ältere das Arbeitslosengeld um bis zu neun Monate auf 33 Monate verlängern. Faktisch würden Arbeitslose damit sogar besser gestellt als vor den Agenda-2010-Reformen: Damals lag der höchste Arbeitslosengeldanspruch bei 32 Monaten. IAB-Experte Weber weist auf Studien hin, dass längeres Arbeitslosengeld die Dauer der Arbeitslosigkeit verlängere. „Man müsste dann dafür sorgen, dass die zusätzliche Zeit intensiv für Vermittlung und Qualifizierung genutzt wird“, sagte Weber.

Wirtschaftsnahe Experten sehen im längeren Arbeitslosengeld eine gefährliche Irreführung. „Die lange Zahlung signalisiert fälschlicherweise, dass man sich bei der Arbeitssuche viel Zeit lassen kann“, sagte IW-Experte Schäfer. Ganz anders sieht das der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie (IMK), Gustav Horn. „Die Verlängerung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist sinnvoll, vor allem um die Lebensleistung der Älteren anzuerkennen“, sagte Horn zu Reuters.

Aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) will die SPD ein „solidarisches Bürgergeld“ machen, mit mehr Anreizen und Förderung von Qualifizierung und Weiterbildung und weniger Leistungskürzungen bei mangelnder Mitwirkung von Arbeitslosen. An der Bedürftigkeitsprüfung und dem Arbeitslosengeld II in Höhe des Existenzminimums will die SPD aber festhalten. „Eine Abkehr vom Hartz-IV-System ist das alles nicht. Das wäre aus unserer Sicht aber auch gar nicht sinnvoll“, sagte IW-Experte Schäfer. Er könne aber nicht erkennen, wie die Vorschläge zur besseren Vermittlung in den Arbeitsmarkt beitragen sollten: „Die Milderung von Sanktionen wirkt eher entgegengesetzt.“

Die CDU machte bereits deutlich, dass sie beim Arbeitslosengeld keinen Handlungsbedarf sieht. Die SPD lässt bisher offen, wie ihre Vorschläge finanziert werden sollen - und welche Teile davon sie noch in dieser Wahlperiode umsetzen will. Das längere Arbeitslosengeld wie auch ein neues Arbeitslosengeld bei Qualifizierung (ALG Q) will Nahles von der Bundesagentur für Arbeit zahlen lassen, die sich aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. „Deren Kassen sind voll, das Geld ist da“, gab die SPD-Chefin forsch vor.

Das stimmt insoweit, als dass das Finanzpolster der BA zum Jahresende 2018 auf 23,5 Milliarden Euro angeschwollen ist. Das Geld soll aber als Reserve für Krisenzeiten wie etwa in den Jahren 2008/2009 dienen, als die BA in kurzer Zeit rund 20 Milliarden Euro mehr ausgab als sie einnahm, um bis zu 1,5 Millionen Kurzarbeiter zu finanzieren. Im laufenden Budget sieht die BA kaum Spielraum: Für dieses Jahr rechnet sie nach der Beitragssenkung am Jahresbeginn auf 2,5 Prozent eines Bruttolohns mit einem Überschuss von rund 500 Millionen Euro.