May in Brüssel: EU hofft auf „realistischen“ Brexit-Vorschlag
Die EU schloss kurz vor Theresa Mays Besuch in Brüssel Änderungen am Brexit-Vertrag erneut aus. Ratspräsident Tusk hofft auf einen „realistischen“ Vorschlag für den EU-Austritt der Briten.
Brüssel, London – Vor dem Besuch der britischen Premierministerin Theresa May in Brüssel hat die EU Änderungen am Brexit-Vertrag erneut ausgeschlossen und eine klare Linie Londons gefordert. Er hoffe, dass May nun einen „realistischen“ Plan für den EU-Austritt unterbreiten werde, sagte Ratspräsident Donald Tusk am Mittwoch.
Er kritisierte unklare Vorstellungen von Brexit-Befürwortern und befand, sie verdienten einen „besonderen Platz in der Hölle“. Mehrere britische Abgeordnete zeigten sich empört.
Das Unterhaus hatte den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag Mitte Jänner klar abgelehnt. Hauptkritikpunkt ist eine Auffanglösung (Backstop) für die britische Provinz Nordirland. Nach ihr müsste das Vereinigte Königreich unter anderem in einer Zollunion mit der EU bleiben, wenn in einer geplanten Übergangsphase keine bessere Lösung gefunden wird, um wiedereingeführte Grenzkontrollen zu Irland zu verhindern.
Gut Sieben Wochen vor dem geplanten Brexit Ende März will May nun versuchen, „rechtlich bindende“ Veränderungen an der Nordirland-Auffanglösung zu erreichen. Sofern dies eine Änderung des Austrittsvertrags betrifft, kam aus Brüssel am Mittwoch erneut ein klares Nein.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der irische Regierungschef Leo Varadkar sahen sich veranlasst, eine gemeinsame Erklärung zu veröffentlichen. „Der Austrittsvertrag ist der beste und einzige Deal, der möglich ist“, hieß es darin. „Er ist für Nachverhandlungen nicht offen.“
Juncker und Varadkar betonten, dazu gehöre auch die Auffanglösung zu Nordirland. Sie sei eine „notwendige, rechtliche Garantie, um den Frieden zu sichern“, hieß es im Hinblick auf den blutigen Nordirland-Konflikt, der 1998 durch das Karfreitagsabkommen und eine offene Grenze zu Irland weitgehend beendet worden war.
Tusk: „Es gibt keinen Spielraum für Spekulationen“
Der EU-Ratspräsident sagte, für die EU blieben die irische Grenzfrage und der Friedensprozess in Irland oberste Priorität. „Es gibt hier keinen Spielraum für Spekulationen“, betonte Tusk. An Großbritannien appellierte er: „Gebt uns eine glaubhafte Garantie für Frieden in Nordirland, und Großbritannien wird die EU als vertrauenswürdiger Freund verlassen.“
Varadkar äußerte sich in der gemeinsamen Erklärung mit Juncker ähnlich. Der irische Regierungschef kündigte ein eigenes Treffen mit May für Freitagabend in Dublin an.
Nach dem monatelangen Gezerre um den Brexit zeigte sich Tusk genervt. „Ich frage mich, wie dieser besondere Platz in der Hölle für die Brexit-Verfechter aussieht, die noch nicht einmal in Umrissen einen Plan haben“, sagte er nach einem Treffen mit Varadkar.
„Sie werden Dir dafür in der britischen Presse schreckliche Probleme bereiten“, sagte der irische Regierungschef darauf voraus. Auf das Erscheinen der Zeitungen am nächsten Tag brauchte Tusk allerdings nicht zu warten. Zahlreiche britische Abgeordnete schossen umgehend zurück.
„Donald Tusk zeigt einmal mehr seine Verachtung für die 17,4 Millionen Menschen, die (beim Brexit-Referendum 2016) dafür gestimmt haben, der Korruption der EU zu entkommen“, erklärte Sammy Wilson, Brexit-Sprecher der nordirischen DUP, die Mays konservative Regierung unterstützt. „Dieser teuflische Euro-Verrückte tut sein Bestes, um das Vereinigte Königreich in den Ketten der EU-Bürokratie und -kontrolle zu halten.“
Die konservative Abgeordnete Andrea Leadsom nannte Tusks Äußerung „boshaft“ und „ziemlich unannehmbar“. Ihr Parteifreund Peter Bone sprach von einer „völlig unverschämten Beleidigung“. Der gleichfalls zu den Tories gehörende Abgeordnete Simon Clarke sagte, Tusks Worte ließen ihn dazu neigen, „einen klaren Bruch“ ohne Austrittsvertrag zu unterstützen.
„Manchmal schmerzt die Wahrheit“
Gegner des EU-Austritts in Großbritannien zeigten dagegen Unterstützung für Tusk. „Manchmal schmerzt die Wahrheit“, sagte Joanna Cherry von der Schottischen Nationalpartei (SNP). Die von Jugendlichen und Studenten gestartete Anti-Brexit-Kampagne „For our Futures‘ Sake“ meinte, Tusk habe „absolut recht“.
Der ehemalige Chef der UK Independence Party (UKIP), Nigel Farage, hielt Tusk entgegen: „Nach dem Brexit werden wir frei sein von ungewählten, arroganten Tyrannen wie Ihnen und unser Land selber lenken.“ Das sei nicht die Hölle, sondern eher der Himmel.
Angesichts der Aufregung in London wurde Juncker bei seiner Pressekonferenz mit Varadkar nach Tusks Bemerkung gefragt. Er sagte: „Ich bin weniger katholisch als mein guter Freund Donald. Er glaubt fest an den Himmel und als Gegensatz dazu an die Hölle. Ich glaube an den Himmel und habe nie die Hölle gesehen - bis auf die Zeit, die ich hier arbeite. Das ist die Hölle.“ (APA/AFP/dpa)