69. Berlinale - Marie Kreutzer: „Es gibt keinen Masterplan“

Berlin/Wien (APA) - Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer startet am heutigen Samstag mit ihrem neuen Drama „Der Boden unter den Fü...

Berlin/Wien (APA) - Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer startet am heutigen Samstag mit ihrem neuen Drama „Der Boden unter den Füßen“ in den Wettbewerb der 69. Berlinale. Kurz davor sprach die 1977 geborene Filmemacherin mit der APA über Anleihen an Hitchcock, ihre Offenheit gegenüber Schauspielern und darüber, warum „Toni Erdmann“ sie zunächst frustriert hat.

APA: Ein Thema von „Der Boden unter den Füßen“ ist das Gefühl des persönlichen Scheiterns, konkret angesiedelt in der Welt der Unternehmensberater. Stand für Sie zunächst das Sujet oder die Schicht fest, in der Ihr Film spielen soll?

Marie Kreutzer: Ich habe bereits 2011 begonnen, an dem Film zu schreiben. Und es ist im Nachhinein oft so für mich, dass ich das gar nicht mehr trennen kann. Aber vermutlich ist das Gefühl, immer funktionieren zu müssen, immer vorhanden gewesen als Grundtenor für die Geschichte. Aber ich habe lange an „Der Boden unter den Füßen“ geschrieben, weil immer der nächste Film, das nächste Vorhaben dazwischenkam.

APA: Das bedeutet, dass das Drama ein bisschen wie eine Antithese zu Ihren bisherigen Arbeiten wirkt, ist chronologisch eher Zufall?

Kreutzer: Ich finde es erstaunlich, dass der Film als so anders gesehen wird. Ich habe ihn genauso gemacht wie alle anderen. Ich arbeite auch an einer Komödie nicht anders. Ich schreibe einen Film, und da ergibt sich im Prozess eine Atmosphäre, die zu ihm passt. Aber in der Arbeit mit den Schauspielern und Schauspielerinnen sehe ich da keine Unterscheidung. Es war keine Strategie dahinter.

APA: Zugleich ist diese Festlegung der Tonalität ja etwas ganz Entscheidendes. Schließlich könnte man ja jedes Sujet auch mit einer anderen Brille betrachten. Wann finden Sie diese Grundstimmung?

Kreutzer: Die entsteht beim Schreiben. Zugleich fällt es mir schwer, über diesen Prozess zu sprechen, weil der einfach verschwindet, wenn er erledigt ist. Mich treibt ein Bild an, und dem folge ich. Es gibt keinen Masterplan. Letztlich mache ich das nach Gefühl. (lacht)

APA: Kommen Sie mit einem klaren Storyboard ans Set respektive wie viel Freiheit geben Sie beim Dreh?

Kreutzer: Mit Storyboards habe ich vollkommen aufgehört. Das schränkt einen nur ein, wenn man auf die Schauspielerinnen und Schauspieler eingehen will. Manche wollen ihre Akteure dann krampfhaft in das Bild einbauen, das sie sich vorgestellt haben. Und so arbeite ich überhaupt nicht. Wir machen eine Probe, und manchmal ist alles völlig anders als ich mir das vorgestellt habe.

APA: Zugleich könnte man die Rolle der Lola auch mit den klassischen Hitchcock-Figuren der blonden, sphinxartigen Frauen vergleichen...

Kreutzer: Tatsächlich war „Marnie“ - ein Film, den ich immer schon geliebt habe - während der Vorbereitung durchaus eine Inspiration für mich. Man folgt Marnie den Film über, obgleich man sie weder versteht noch besonders sympathisch findet. Das fand ich faszinierend. Deshalb musste Lola auch unbedingt blond sein - weshalb Valerie Pachner halt einige Stunden beim Friseur zum Umfärben verbringen musste. (lacht)

APA: Die bei „Boden unter den Füßen“ kurz aufscheinenden Psychothrillerelemente lassen Sie allerdings im Fortgang der Geschichte wieder fallen...

Kreutzer: Was man jetzt noch sieht ist das Maximum, das ich mir vorstellen konnte. Manchmal konnte ich der Verführung nicht widerstehen. Ich wollte einige Irritationen setzen, aber dem Zuschauer, der Zuschauerin keine Antworten liefern, wohin es geht.

APA: Insgesamt stellt Ihr Film mehr Fragen, hält mehr offen, als er erklärt. Haben Sie für sich als Filmemacherin die Antworten?

Kreutzer: Ich könnte diese Fragen alle beantworten. Das muss ich in meinen Augen - sonst könnte ich den Film nicht schreiben oder inszenieren. Ich schreibe für meine Figuren auch immer eine ganze Biografie, auch wenn das auf der Leinwand nicht zu sehen ist. Aber ich habe das Gefühl, man spürt das.

APA: Der Erfolgsfilm „Toni Erdmann“ von Maren Ade behandelt ein ähnliches Sujet. War das eine Inspiration für Sie?

Kreutzer: Als ich damals gehört habe, dass Maren Ade einen Film über eine junge Unternehmensberaterin macht, dachte ich zunächst: Oh nein, ich war zu langsam. Aber ich werde Gott sei Dank selten auf die Parallelen angesprochen, weil die Arbeitswelt, die gezeigt wird, zwar gleich ist, die beiden Filme aber doch sehr unterschiedlich. Insofern: „Toni Erdmann“ hat mich weniger inspiriert als frustriert. (lacht)

APA: Jetzt sind Sie mit „Der Boden unter den Füßen“ im Wettbewerb der Berlinale. Sind Sie ein kompetitiver Typ?

Kreutzer: Nicht im Bezug auf Preise. Ich bin ein kompetitiver Typ, was die Finanzierung meiner Projekte angeht. Ein Erfolg ist für mich, wenn ich den Film machen kann, den ich möchte. Nicht, dass ich nachher eine Trophäe in die Hand gedrückt bekomme.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

(B I L D A V I S O - Fotos von Marie Kreutzer wurden zuletzt am 19. Jänner 2019 über den AOM versendet und sind dort abrufbar.)