Im Herrgottswinkel: „Glaube und Heimat“ im Theater in der Josefstadt

Wien (APA) - Bauerntheater im Theater in der Josefstadt? Einen kleinen Kulturschock galt es zu verdauen, bis man sich gestern eingehört und ...

Wien (APA) - Bauerntheater im Theater in der Josefstadt? Einen kleinen Kulturschock galt es zu verdauen, bis man sich gestern eingehört und eingesehen hatte, was auf der ehemaligen Reinhardt-Bühne geboten wurde. Regisseurin Stephanie Mohr lässt Karl Schönherrs im Zillertal spielendes Stück „Glaube und Heimat“ quasi vom Blatt spielen. Mit Herrgottswinkeln, Lutherbibel, kantigen Gestalten und knarzendem Dialekt.

Es geht um die Vertreibung der Protestanten aus Tirol. Wer dem lutherischen „Irrglauben“ nicht abschwört, muss auf kaiserlichen Befehl Haus und Hof verlassen und außer Landes gehen. Tiefe Konflikte brechen auf. Was wiegt schwerer: Scholle oder Seele? Gibt es ein geheimes richtiges Leben im öffentlich falschen Bekennen? Für jene, die bleiben, stehen plötzlich viele Höfe billig zum Kauf. Katholizierung statt Arisierung.

Mohr ist der Ansicht, dass das 1910 uraufgeführte und in der Gegenreformation spielende Stück genug hergibt, um seine eigenen Schlüsse für die Konfliktlinien der Gegenwart zu ziehen. Sie verzichtet weitgehend auf Abstraktion und Interpretation. Erfanden Martin Kusej und Martin Zehetgruber 2001 im Burgtheater einen ausweglosen, mit Schlamm gefüllten Raum und dichteten Schönherrs „Tragödie eines Volkes“ assoziativ weiter, hat Miriam Busch vier ähnliche bäuerliche Räume auf die Drehbühne gestellt, von denen eine karge Sprossentreppe zum Licht zu führen scheint. Von hier wird sich der junge Hoferbe (den Swintha Gersthofer als rechtes Springinkerl anlegt) in den Tod stürzen.

Unter Absturzgefahr steht freilich die (mit Pause) fast zweieinhalbstündige Inszenierung immer wieder. Das bäuerliche Ringen um das Seelenheil, die Drohungen des kaiserlichen Schergen (Claudius von Stolzmann als apokalyptischer „Ritter-Reiter“ im blutbefleckten Hemd), das Hadern mit dem Schicksal - all‘ das ist aus derartig knorrigem Holz geschnitzt, dass man sich mitunter die Frage stellt, wann hier der Ernst aufhörte und die Parodie anfinge.

Paradigmatisch für diese Gratwanderung steht Raphael von Bargen als Christoph Rott. Der gebürtige Hamburger versucht rechtschaffen, sich die Tiroler Mundart anzueignen und konzentriert sich darauf, seiner Figur den rechten Habitus zu verleihen: breitschultrig, breitbeinig, sturschädlig, wortkarg. Sein Coming Out als Protestant wird zum Erweckungserlebnis, sein Ringen mit der Obrigkeit ist von mühsam unterdrückter Wut geprägt. Die zarten Szenen mit seiner Frau (still verzweifelt: Silvia Meisterle) und seinem Buben, der sein ganzer Stolz ist, müssen sorgsam vor den anderen verborgen werden. Das ist nicht schlecht gemacht. Aber: gemacht.

„Leiden und Tragen“ ist das Motto, wenn die Bauersleut‘ zum Chor antreten, Michael König als wassersüchtiger Alt-Rott sich bis zum Letzten windet, um sein Leben noch auf der eigenen Scholle aushauchen zu können, oder Roman Schmelzer als Sandperger vom Geist seiner vom Reiter erstochenen Frau (Elfriede Schüsseleder) verfolgt wird. „Glauben is‘ Gottessach‘“, hört man immer wieder, oder: „Red‘ net viel und geh‘ dei‘m Glaub‘n nach“. Einmal lässt Mohr eine dieser mühsam errungenen Lebensweisheiten, die doch wie Kalendersprüche klingen, auf eine Wand schreiben: „Es kommt kein Trost.“

Gerade dort, wo die Inszenierung versucht, den Menschen ganz nahe zu kommen, bleibt sie einem fremd. Ins Schwarze trifft der Abend dagegen mit einer Figur, die Mohr hinzuerfunden hat: Kyrre Kvam hat immer wieder Auftritte als unheimlicher Musiker. Halb Clown, halb Gespenst, trommelt und singt er und entlockt einem kleinen Kästchen die schaurigsten Töne. Es sind die stärksten Momente der Aufführung. Viel Beifall vom Premierenpublikum.

(S E R V I C E - „Glaube und Heimat“ von Karl Schönherr, Regie: Stephanie Mohr, Bühnenbild: Miriam Busch, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Musik: Kyrre Kvam. Mit Swintha Gersthofer, Alexandra Krismer, Silvia Meisterle, Elfriede Schüsseleder, Susanna Wiegand, Raphael von Bargen, Nikolaus Barton, Ljubisa Lupo Grujcic, Oliver Huether, Igor Karbus, Gerhard Kasal, Michael König, Kyrre Kvam, Jörg Reifmesser, Roman Schmelzer, Michael Schönborn, Lukas Spisser und Claudius von Stolzmann. Theater in der Josefstadt. Nächste Vorstellungen: 15., 18., 26.2., 16., 17., 18.3., Karten: 01 / 42700-300, www.josefstadt.org)