Wo Gott nicht wohnt: „Hiob“ am Burgtheater
Wien (APA) - Vor dem Rundhorizont hängt in großen Lettern das Wort „America“. Der Bühnenboden ist eine Wellenlandschaft. Beides kann sehr ve...
Wien (APA) - Vor dem Rundhorizont hängt in großen Lettern das Wort „America“. Der Bühnenboden ist eine Wellenlandschaft. Beides kann sehr verschieden beleuchtet werden und ändert seine Stimmung von kalter Verlorenheit zu sanften Dünen im Abendlicht. Bühne und Licht sind jedoch bei weitem das Interessanteste an dieser Aufführung. Das ist die Hiobsbotschaft, die von diesem „Hiob“ im Burgtheater zu berichten ist.
Der 1930 erschienene Roman von Joseph Roth erzählt von der Lebens- und Glaubenskrise des tiefgläubigen orthodoxen Tora-Lehrers Mendel Singer, der damit hadert, dass Gott ihn für Sünden zu strafen scheint, derer er sich nicht bewusst ist. Die Epilepsie seines Sohnes Menuchim sieht er nicht als Krankheit, sondern als Prüfung. Um noch härteren Prüfungen zu entgehen, flieht er aus seinem Schtetl im zaristischen Russland nach Amerika, wo schon sein Sohn Schemarjah erfolgreich Fuß fassen konnte. Als sich das Lebensglück erneut von Mendel abzuwenden scheint, flucht er Gott. Und siehe: Gott schickt ein Zeichen. Ein Wunder.
Gott ist auch in Oberammergau sehr präsent, dem Heimatort des Regisseurs Christian Stückl, wo dieser 1987 die Funktion des Spielleiters der Passionsspiele übernahm. Wenn der Schöpfer ihm für diesen Abend einen Wink gegeben haben sollte, dann hieß er wohl: keine Äußerlichkeiten! Daran hat sich Stückl gehalten. Leider ist dabei auch die Innerlichkeit verloren gegangen. So leichtherzig trennt sich Mendel von Menuchim, den er - weil Amerika Kranken keine Einreiseerlaubnis erteilt - in Russland zurücklassen müssen, dass man ihm das Leid kaum abnimmt, das ihm in der Emigration das Herz schwer machen wird.
Peter Simonischek, der für die Darstellung einen liebenswerten muslimischen Patriarchen in „The Who and the What“ kürzlich einen Nestroy-Preis erhielt, schaut als jüdisches Familienoberhaupt inmitten von Koffern lieber in sein Gebetsbuch als dem Leben ins Auge. Was er vermittelt, ist jedoch weniger tiefe Versenktheit als erstaunliche Beiläufigkeit. Dass Menuchim (stark: Tino Hillebrand) von seinen Geschwistern fast ertränkt wird, bemerkt er gar nicht; die Chance zu ergreifen, wenigstens einen der Söhne dem Wehrdienst zu entziehen, überlässt er ganz seiner Frau Deborah (liebevoll: Regina Fritsch). Bei soviel Gottergebenheit überrascht sein rascher Entschluss zur Emigration: Tochter Mirjam (Stefanie Dvorak als junge Frau mit nymphomanisch gesteigerter Lebenslust) soll dem Zugriff der Kosaken entzogen werden. In Amerika wird Mendel nicht glücklich werden.
Christian Stückl, der gemeinsam mit Dramaturg Florian Hirsch die „Hiob“-Bühnenfassung von Koen Tachelet bearbeitet hat, lässt nicht nur seltsam distanziert spielen, sondern dreht die Regler für Tempo und Lautstärke ganz hinunter. Am Zweiten Rang möchte man an diesem (inklusive Pause) 2 Stunden 50 Minuten dauernden Abend nicht sitzen. Dennoch gewinnt dieser „Roman eines einfachen Mannes“, der immer wieder von klarinettenlastiger, höchst erwartbarer Musik (Tom Wörndl) begleitet wird, dadurch nicht an Intensität.
Christoph Radakovits und Oleg Tikhomirov versuchen, Amerika - „Gods own country“ - über Klischees greifbar zu machen, Hans Dieter Knebel, Peter Matic und Stefan Wieland repräsentieren die neue jüdische Gemeinde, die den Abgefallenen wieder heimzuholen versucht in den Schoß des Glaubens. Und doch bleibt uns alles fremd an dieser Passionsgeschichte des Mendel Singer, über die Florian Hirsch im Programmbuch einen schönen Aufsatz verfasst hat. Unter dem Titel „Losing My Religion“ interpretiert er „Hiob“ als „ein Märchen der Moderne“, das „von der unbedingten und zum Scheitern verurteilten Sehnsucht Joseph Roths zu glauben“, erzähle, „sei es an Gott oder die Donaumonarchie. An eine Art von Sinn, von Erlösung.“ So gesehen lehrt uns dieser Abend, den Glauben an das Theater nie zu verlieren. Auch wenn das Wunder am Ende ausbleibt.
(S E R V I C E - „Hiob“ nach dem Roman von Joseph Roth. Bühnenfassung von Koen Tachelet. Regie: Christian Stückl, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Tom Wörndl, Licht: Norbert Joachim. Mit: Peter Simonischek, Regina Fritsch, Christoph Radakovits, Oleg Tikhomirov, Tino Hillebrand, Stefanie Dvorak, Hans Dieter Knebel, Peter Matic, Stefan Wieland. Burgtheater. Nächste Vorstellungen: 28., 28.2., 2.,7.3., Karten: 01 / 5131513, www.burgtheater.at)