Brexit - Tusk: Verschiebung wäre „vernünftige Lösung“

Sharm el-Sheikh (APA/AFP/Reuters/dpa) - Knapp fünf Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens hat Ratspräsident Donald Tusk eine V...

Sharm el-Sheikh (APA/AFP/Reuters/dpa) - Knapp fünf Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens hat Ratspräsident Donald Tusk eine Verschiebung ins Spiel gebracht. Eine Verschiebung des Brexit auf einen späteren Zeitpunkt wäre eine „vernünftige Lösung“, sagte Tusk am Montag am Rande des Gipfels der EU mit der Arabischen Liga im ägyptischen Sharm-el-Sheikh.

Tusk deutete damit die Zustimmung der EU-27 zu einem entsprechenden Antrag Londons an. Die britische Premierministerin Theresa May glaube aber immer noch, sie könne eine solches Szenario vermeiden, fügte Tusk hinzu. Tatsächlich sagte May nach dem Gipfel in Sharm-el-Sheikh, dass eine Verlängerung des Ausstiegsprozesses die Entscheidungsfindung im Unterhaus „nicht erleichtern“ werde. Kritiker werfen ihr vor, das Unterhaus bewusst unter Zeitdruck zu setzen, damit es nur noch die Wahl zwischen „ihrem“ Deal und einem ungeregelten Brexit hat.

Tusk berichtete, dass er mit May über das mögliche Verfahren einer Verschiebung gesprochen habe. Ohne Mehrheit im Unterhaus für den Brexit-Deal gebe es nur die Wahl zwischen einer Verschiebung oder einem chaotischen Brexit gebe. Je weniger Zeit bis zum 29. März sei, desto wahrscheinlicher werde eine Verlängerung der Austrittsfrist. Das sei kein Wunsch der EU, sondern eine Tatsache. Und er fügte hinzu: „Ich kann Ihnen versichern, und das habe ich gestern auch im Treffen mit Premierministerin May gemacht, dass egal in welchem Szenario wir sein werden, die 27 maximales Verständnis und guten Willen zeigen werden.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte in Sharm-el-Sheikh, dass er sich bei einem entsprechenden Vorschlag aus London dafür einsetzen würde, dass die EU eine Verschiebung des Austritts zustimme. „Und dieses Szenario wird aus meiner Sicht immer realistischer.“ Oberstes Ziel bleibe aber weiterhin, einen „harten Brexit zu verhindern. Eine Verschiebung wäre daher besser als ein No-Deal-Szenario“, so der Kanzler.

May sprach beim EU-Araber-Gipfel auch mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Es habe sich um einen konstruktiven Meinungsaustausch gehandelt, sagte eine Kommissionssprecherin in Brüssel. Man habe „gute Fortschritte“ bei den drei Hauptarbeitsfeldern erzielt, sagte die Sprecherin. Dabei gehe es um die politische Erklärung, um alternative Vereinbarungen und um zusätzliche Garantien für einen Backstop im Zusammenhang mit der irischen Grenzfrage. Details wurden keine genannt. Zu einer möglichen Verschiebung des Brexits sagte die Sprecherin: „Wir wollen nicht spekulieren.“

Die britische Premierministerin nutzte die Zusammenkunft der EU-Staats- und Regierungschefs im ägyptischen Badeort zu bilateralen Treffen mit mehreren Amtskollegen, darunter auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Auch ein Gespräch mit dem irischen Premier Leo Varadkar war geplant.

Berichten aus London zufolge prüft May eine Verschiebung des Brexit um bis zu zwei Monate, sollte es bis zum 12. März keine Mehrheit für einen Brexit-Vertrag im Londoner Unterhaus geben. Im Kabinett würden verschiedene Optionen durchgespielt, sagte ein Regierungsvertreter am Montag. Darauf angesprochen sagte Verteidigungs-Staatssekretär Thomas Ellwood der BBC: „Wenn wir diesen Vertrag nicht über die Ziellinie bringen können, stehen wir vor der Entscheidung, verlängern zu müssen.“

Laut EU-Diplomaten könnte der Brexit bis zum Jahr 2021 verschoben werden, dem Ende der im Brexit-Deal vereinbarten Übergangsfrist, in der Großbritannien faktisch weiter die Pflichten und Beiträge einer EU-Mitgliedschaft übernehmen muss, allerdings ohne Mitspracherecht. Wie die Tageszeitung „The Guardian“ berichtet, würden EU-Ratspräsident Tusk und EU-Kommissions-Generalsekretär Martin Selmayr diesen Plan unterstützen. Damit will man sich Zeit verschaffen, um die umstrittene „Backstop“-Frage für Nordirland zu lösen.

May will am Dienstag dem Parlament berichten, was sie in ihren Gesprächen mit der EU erreicht hat. Für Mittwoch sind dann Abstimmungen über das weitere Vorgehen vorgesehen, nicht aber über den durchgefallenen Brexit-Vertrag. Diesen will May spätestens bis zum 12. März und damit gut zwei Wochen vor dem geplanten Austritt am 29. März erneut zur Abstimmung stellen.

Dieses Heranrücken der Entscheidung immer näher an den Brexit-Termin bringt die Abgeordneten auf den Plan, die einen ungeordneten Austritt mit all seinen politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen um jeden Preis verhindern und die Regierung zum Antrag auf Aufschub zwingen wollen. Die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper rief die Parlamentarier auf, ihren genau darauf abzielenden Resolutionsentwurf zu unterstützen. Die Ankündigung Mays mache es noch unerlässlicher, „dass das Unterhaus für unser Gesetz stimmt, mit dem wir versuchen, wieder etwas gesunden Menschenverstand in den Prozess einzubringen“.

Für die Regierung dürfte aber ein Entwurf zweier Tory-Abgeordneter attraktiver sein, den Brexit bis zum 23. Mai, dem Beginn der Europawahl, zu verschieben, sollte die Ratifizierung des Brexit-Vertrags am 12. März nicht zustandekommen. Ein Regierungsvertreter nannte den Vorschlag „hilfreich“.