Ein Feuerwerk, das lange nachglüht
In „Die guten Tage“, dem Debütroman von Marko Dinic´, entwickelt sich eine Busfahrt zur Bestandsaufnahme balkanischer Versehrtheit.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Ist von der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur die Rede, stimmen die besonders Meinungsmächtigen in steter Regelmäßigkeit ein vortrefflich eingeübtes Lamento an: nichtssagende Nabelschauen, gehaltlose Ironie-Revuen, Beliebigkeitsprosa, Schlamperei als Stil verkauft – und billige Bummelwitze, die als Ausweis von Zeitgenossenschaft herhalten sollen. Wobei der Blick auf einschlägige Bestsellerlisten zeigt: Ganz von der Hand weisen lassen sich die Vorwürfe nicht.
Bisweilen allerdings kommt in Momenten größter Feuilleton-Verzweiflung (Stichwort: „Stella“ von Takis Würger) ein Buch daher, das alles Schwarzmalen Lügen straft. Und, machen wir es kurz: „Die guten Tage“, das Romandebüt des in Wien geborenen, in Belgrad aufgewachsenen und 2008 nach Österreich übersiedelten Marko Dini´c ist so ein Buch. Eine Wucht: welthaltig, aber nie von der eigenen Bedeutungsbehauptung beseelt, deftig, aber nie vom selbstgezimmerten Furor berauscht, und berührend, ganz ohne Rührseligkeit oder Kitschverdacht.
Dass Dini´c an etwas – in mehrfacher Hinsicht – Großem arbeitet, wurde bereits beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb vor zweieinhalb Jahren deutlich. Ein Auszug aus dem nun erschienenen Roman machte den 30-Jährigen zum aussichtsreichen Preiskandidaten. An der Auszeichnung selbst schrammte Dini´c haarscharf vorbei. Erst im Stechen unterlag er Sharon Dodua Otoo. Und vielleicht war die Niederlage, die man kaum als solche bezeichnen kann, ein Glücksfall: Dini´c konnte ohne den Druck, schnellstmöglich mit sichtbarem Bachmannpreis-Sticker für den Buchmarkt zu liefern, weiterschreiben. So wie er es bereits davor getan hat. Beispielsweise in Schwaz, wo er schon Anfang 2016 Stadtschreiber war.
„Die guten Tage“ ist autobiografisch grundiert. Ein junger Mann macht sich mit dem „Gastarbeiterexpress“ – einem zwischen Wien und Belgrad verkehrenden Bus also – auf den Weg dorthin, wo er früher zuhause war. Der Anlass ist ein trauriger: Seine Großmutter, die ihm vor Jahren den Ausweg aus der Belgrader Perspektivenlosigkeit ermöglichte, ist gestorben. Die nächtliche Busfahrt und das schillernde Soziotop, das den Protagonisten umgibt, sind die Klammer. Dazwischen wird erzählt. Von dem, was war. Von dem, was wahr war. Und von dem, was ist. Weil Dini´c ein mit allen Wassern gewaschener Erzähler ist, einer, der sich auch auf das Kleingedruckte des literarischen Spiels versteht, denkt er erzählend auch über die Bedingungen des Erzählens nach.
So nimmt neben dem Ich-Erzähler ein Mann Platz, der selbstbewusst aus der Reihe tanzt: ein Elektriker, der sich als höchst eigenwilliger Chronist herausstellt – und dem das vorschwebt, was „Die guten Tage“ letztlich ist: eine Bestandsaufnahme balkanischer Versehrtheit. „Jugo-Nostalgie“ erlaubt sich Dini´c in seinem Buch keine: Es gibt durchaus liebevolle Schilderungen, doch letztlich bleibt „Die guten Tage“ ein schonungslos harter, wunderbar vielfarbig vor sich hinfluchender Roman. Die Bombardierung Belgrads, die sich im April dieses Jahres zum 20. Mal jährt und die Marko Dini´c (wie sein Protagonist) als Kind miterlebte, ist nur eine von vielen eindrücklich ausgestalteten Episoden. Wobei es dem Roman nicht zuletzt um das knisternde Spannungsfeld von Wahrheit und Wahrnehmung geht: wenn etwa der Protagonist den verhassten Vater als Teufel an die Wand malt – und dieser später als biederes Männchen in Erscheinung tritt. Kurzum: „Die guten Tage“ ist Gegenwartsliteratur im besten Sinne des Wortes: fraglos gegenwärtig – und hochliterarisch. Ein Feuerwerk, das lange nachglüht.
Roman Marko Dini ´ c: Die guten Tage. Zsolnay, 238 Seiten, 22,70 Euro.