Ihre Hymnen, unsere Gesänge: Zaimoglus „Die Geschichte der Frau“

Berlin (APA/dpa) - Die Frau scheint ein Fluch zu sein, ein von Dichtern ersonnener. Von Anfang an wird die Frau von den Männern geführt. Sch...

Berlin (APA/dpa) - Die Frau scheint ein Fluch zu sein, ein von Dichtern ersonnener. Von Anfang an wird die Frau von den Männern geführt. Schon am Beginn der Literatur, in Homers Ilias, steht zentral die Ehebrecherin Helena, derentwegen sich Griechen und Trojaner die Köpfe einschlagen. So eigenständig Frauen als literarische Figuren auch auftreten, so fremdbestimmt sind sie meist durch die Hand des Dichters.

Auch Feridun Zaimoglu ist ein Mann, „Die Geschichte der Frau“ heißt sein sprach- und bildgewaltiges neues Buch. Doch ist der Roman - ein loser Rahmen für zehn Erzählungen über berühmte Frauen aus Mythos, Religion und Zeitgeschichte - genauso (vielleicht noch viel mehr) eine Geschichte über den Mann und das traditionelle Verständnis von Männlichkeit. Seine Texte durchdringen das Gefüge von Macht und Joch.

Am Anfang steht die Ägypterin Zippora, schwarzhäutige Gefährtin des Moses im Alten Testament. Die Israeliten verhöhnen sie als „hündisch lauernde Buhle“, die „den Wüstenführer verlockt“; sie selbst sieht sich als sein Pfeiler: „Ich festige ihn.“ Zehn Geschichten später lässt Zaimoglu die Radikal-Feministin Valerie Solanas ihre Waffe auf den Künstler Andy Warhol richten und sagen: „Du bist wertlos.“

In einem Bogen von dreieinhalb Jahrtausenden - vom antiken Mythos bis zur Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts - zeigt Zaimoglu die weibliche Sicht auf den Mann. Wie diese sich wandelt, während die Machtstrukturen erhalten bleiben. Der 54-Jährige stößt damit mitten hinein in die Debatte, bei der derzeit allerorten männliche Einfluss- und Gewaltgefüge hinterfragt werden. „Die Geschichte der Frau“ ist für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Auch in seinen anderen Texten näherte sich der preisgekrönte Erfinder der „Kanak Sprak“, der in München, Berlin und Bonn aufwuchs und seit mehr als 30 Jahren in Kiel lebt, immer wieder gesellschaftlichen Themen. Regelmäßig äußert er sich etwa zur Debatte über Zuwanderung - unter anderem in seinem Roman über die türkische Arbeitsmigrantin Leyla, die jetzt auch im neuen Buch ein eigenes Kapitel erhält.

Daneben gibt es in „Die Geschichte der Frau“ etwa die nordische Sagenkönigin Brunhild, die zwar weiß, dass der König „den obersten Kanten des Brotes“ rupft und die Frauen zu warten haben. „Doch das neue Reich kommt herauf“, ahnt sie. Oder Prista, die im frühen Protestantismus die Gebote der „fressenden Obrigkeit“ verachtet und alsbald der Hexerei bezichtigt wird. Zaimoglu setzt alle seine Protagonistinnen in historische Momente des Umsturzes.

Im zentralen Text lässt er die wohl deutscheste aller mythischen Frauen zu Wort kommen: Loreley. Die züchtige Magd Lore Lay wehrt die romantisch überspitzten, beinah parodistischen Schmeicheleien des Dichters Clemens Brentano ab, der um 1800 die Sagengestalt erfand. „Er missdeutet mein Lächeln“ - ein Satz, der auch in der aktuellen #MeToo-Debatte immer wieder zu hören ist.

Der verschmähte Brentano macht sich die Unerreichte in der Literatur zu Willen: In seiner Sage sitzt sie makellos nackt am Rheinfelsen und kämmt ihr Haar, so dass die betörten Schiffer ihre Gefährte gegen die todbringenden Klippen lenken. „Der Herr presst mich in diese Lüge?“, fragt Lore. „Nur das besungene Weib wird unsterblich“, entgegnet er. „Ich habe dich verschönt, dass du brauchbar wirst!“ Weiblichkeit erscheint als Gnade des Mannes, sein erfolgreichstes Mittel: Lüge.

Zaimoglus Sprache strotzt vor Körperlichkeit und wenig zimperlicher Derbheit. Zu erwiderter Zuneigung ist keine der Figuren fähig. Seinen brutalen Inhalt ummantelt der Autor mit bewundernswerter Formgewalt: Den Sprachrhythmus passt er den jeweiligen Vorbildtexten an, was dem Leser etwa vor dem Hintergrund des Alten Testaments oder der theatralischen Dichtung eines Sophokles so einiges abverlangt.

Zaimoglus Heftigkeit hat etwas sehr männlich Tradiertes. Vielleicht ist das der Widerspruch, den auch der Sprachschwelger nicht auflösen kann. Die bedauernswerte weibliche Leerstelle in der offiziellen Geschichtsschreibung wird dieses Buch nicht füllen. Doch zeigen sich zumindest Umrisse. Oder wie Antigone sagt: „Die Männer, sie haben ihre Hymnen, wir haben unsere Gesänge.“

(S E R V I C E - Feridun Zaimoglu: „Die Geschichte der Frau“, Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 24,70 Euro)