Gegen Hunger, Cholera und Ideologie: Jemen braucht Milliardenhilfen

Sanaa/Genf (APA/dpa) - In den Schulen im Jemen zeigt sich das Dilemma des Krieges. „Nichts ist hier mehr so wie vor dem Krieg“, erzählt Haja...

Sanaa/Genf (APA/dpa) - In den Schulen im Jemen zeigt sich das Dilemma des Krieges. „Nichts ist hier mehr so wie vor dem Krieg“, erzählt Hajat Said. Als eine der wenigen Lehrerinnen im Land geht die 47-Jährige noch regelmäßig zum Unterricht. Etwa 75 Euro bekommt sie dafür im Monat. Nicht von der Regierung, die aus dem Exil regiert, und nicht von den Houthi-Rebellen, die die Hauptstadt Sanaa eingenommen haben.

Sondern von einem deutsch-jemenitischen Hilfsverein, der in dem Lehrergehalt mehr sieht als nur Unterstützung zum Überleben.

Die Situation im Jemen ist nach Angaben der Vereinten Nationen die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt. Nach Schätzungen des Kinderhilfswerks UNICEF starben im vergangenen Jahr 52.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger oder vermeidbaren Krankheiten. „Kinder haben den Krieg nicht gestartet, aber sie zahlen den höchsten Preis“, sagt UNO-Generalsekretär António Guterres in Genf.

Schon vor Kriegsbeginn im Jahr 2014 galt der Jemen als Armenhaus der Arabischen Halbinsel. Heute benötigen nach UN-Angaben mehr als 24 Millionen Menschen Hilfe oder Schutz, 80 Prozent der Bevölkerung.

Im September 2014 hatten die vom Iran unterstützten Houthi-Milizen Sanaa und große Gebiete des Nordjemens eingenommen. Der Regierung zur Hilfe kam kurz darauf eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition. Sie bombardiert Stellungen der Houthi, trifft aber auch immer wieder Zivilisten, Schulen und Krankenhäuser. Im vergangenen Jahr hatte ein schwerer Cholera-Ausbruch mit mehr als einer Million Kranken die Lage noch einmal verschärft.

„Mein Mann hat wegen des Krieges seinen Job verloren und ich habe kein Gehalt mehr bekommen. Wie soll man so leben?“, klagt Lehrerin Hajat Said. Vier Kinder hat die Familie zu ernähren. Und die Preise steigen, seit die saudische Koalition eine Blockade über den Flughafen Sanaa und die Häfen am Roten Meer verhängt hat.

Deshalb hilft der Verein aus Bayern, Hajati Karamati („Mein Leben, meine Würde“). „Es geht einmal um die Lehrer, dass die wieder ihre Familien ernähren können“, sagt der Vorsitzende, Said al-Dailami. „Und es geht darum, dass die nächste Generation nicht verloren geht.“ An einigen Schulen zahlten die Houthis zwar Gehälter, aber nur an Lehrer, die „ideologisch auf Linie“ seien. Der Verein unterstützt inzwischen 72 Lehrer an zwei Schulen im Nordjemen.

Die Vereinten Nationen brauchen in diesem Jahr 4,2 Milliarden Dollar (3,7 Millionen Euro) für den Jemen, so viel wie für kein anderes Land. „Zehn Millionen Menschen stehen kurz vor einer Hungersnot“, sagte Guterres. Die UN wollen Nahrungsmittel liefern, Trinkwasser aufbereiten, Krankenstationen und Schulen unterhalten und Unterkünfte für Vertriebenen bauen. Insgesamt rund 2,6 Milliarden Dollar (2,3 Milliarden Euro) kamen am Dienstag zusammen. Die EU hat 161 Millionen Euro versprochen, Deutschland zusätzlich 100 Millionen Euro. Österreich wird sich laut Außenministerium mit einer „Größenordnung“ wie im Vorjahr von rund 2 Millionen Euro beteiligen.

In den Straßen von Sanaa müssen viele Menschen inzwischen betteln. „Wenn wir hier kleine Arbeiten ausschreiben, etwa Lager aufräumen, bewerben sich 500 Menschen“, sagt der Chef des Rotkreuz-Büros in Sanaa, Franz Rauchenstein. „Unsere Mitarbeiter müssen mit ihrem Lohn von etwa 1500 Dollar 100 Verwandte mit ernähren.“ Noch größer sei aber die Not auf dem Land, wo die meisten Menschen lebten. In dem gebirgigen Land seien viele Regionen schwer zu erreichen.

Hinzu komme häufig das Misstrauen der lokalen Behörden, sagen Hilfsorganisationen. „Manche Menschen sterben, während ich auf eine Genehmigung warte“, berichtet Ibtisam al-Sawaani von Vision Hope.

Das Welternährungsprogramm WFP, die größte humanitäre Organisation der Welt, ist jeden Tag mit 300 Lastwagen unterwegs, um Menschen zu versorgen. Misstrauen der Kriegsparteien und Bürokratie, um Passierscheine zu erhalten, seien zermürbend, sagt auch der WFP-Chef in Sanaa, Stephen Anderson. Die Nerven lägen vielerorts blank: „Die bemerkenswerte Wiederstandfähigkeit der Menschen bröckelt langsam.“

Auch, wenn das Elend nicht durch eine Naturkatastrophe sondern Machtkämpfe ausgelöst worden sei, appelliert Anderson an Spender: „Die Mutter mit dem schwer unterernährten Sohn im Krankenhaus, die hungernden Zivilisten, sie haben den Krieg nicht ausgelöst.“ Das Land im Elend versinken zu lassen, wäre ein Desaster für die gesamte Welt. Unterernährung betreffe auch die Entwicklung des Gehirns. Und im Jemen seien viele Terrorgruppen unterwegs. „Je länger der Konflikt dauert, desto mächtiger werden sie“, warnt er.

Natürlich müsse der Krieg beendet werden, verlangt Guterres. Der Vereinbarung der Konfliktparteien auf eine Waffenruhe im Dezember in Stockholm müssten nun weitere Schritte folgen.