Georgiens Parlamentspräsident: Wir sind auf dem Weg nach Europa
Wien (APA) - Georgien verfolgt zuversichtlich seinen Weg in Richtung Europa. „Die euro-atlantische Integration ist eine Priorität“, betonte ...
Wien (APA) - Georgien verfolgt zuversichtlich seinen Weg in Richtung Europa. „Die euro-atlantische Integration ist eine Priorität“, betonte der Präsident des georgischen Parlaments, Irakli Kobachidse, im Gespräch mit der APA in Wien. Diese Zielsetzung entspreche dem Willen des Volkes, der Medien, der starken Zivilgesellschaft ebenso wie jenem der Regierung und des Parlaments.
Zuvor hatte Kobachidse in einem Vortrag an der Diplomatischen Akademie die angestrebte EU- und NATO-Mitgliedschaft als „klares außenpolitisches Ziel“ bezeichnet. 85 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Assoziierung des Landes mit der Europäischen Union, versicherte der Parlamentschef und frühere Mitarbeiter internationaler Organisationen zum Abschluss zweitägiger Gespräche am Dienstag in Wien. „Wir sind auf der richtigen Spur.“ Bei ihrer Vereidigung im Dezember hatte die neue Präsidentin Georgiens, Salome Surabischwili, den Weg nach Europa „unumkehrbar“ genannt.
Von der APA auf das Nachbarland Armenien angesprochen, das aus Rücksicht auf bzw. wegen Druck aus Russland von einer geplanten EU-Assoziierung Abstand genommen hat, bekräftigte Kobachidse die Entschlossenheit Georgiens. Das Parlament in Tbilissi habe entsprechende Resolutionen pro EU und pro NATO verabschiedet. Das EU-Assoziierungsabkommen werde gewissenhaft behandelt; Experten seien beauftragt, die Implementierungsregeln zu studieren. Er glaube an einen Erfolg bei demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten. Georgien habe auch „eine klare Vision“, was strategische Partnerschaften betrifft.
Zur Lage in den abtrünnigen, von Russland besetzten Regionen Abchasien und Südossetien (20 Prozent georgischen Territoriums, Anm.) konstatierte Kobachidse: „Dieser Konflikt kann nicht als eingefrorener Konflikt bezeichnet werden.“ Tbilissi verfolge gegenüber Moskau „eine pragmatische Politik“ und strebe eine friedliche Lösung an. Viele russische Touristen kämen nach Georgien. Umgekehrt verhalte sich Moskau „aggressiv“, auch zu Moldau (Moldawien), das keinerlei EU-Ambitionen hege. Kobachidse begrüßte die Fortführung der zivilen EU-Beobachtermission, bedauerte aber, dass im kritischen Gebiet selbst kein Monitoring möglich sei. Jüngst hatte der Vorsitzende der OSZE-Parlamentarier-Versammlung, der Georgier George Tsereteli, bei der Wintertagung in Wien mangelnde Fortschritte in dem Konflikt beklagt.
Erfreut zeigte sich Parlamentschef Kobachidse über die Visafreiheit mit der Europäischen Union. „Das ist eine große Errungenschaft.“ In diesem Zusammenhang verwies er auf „die fruchtbare Zusammenarbeit mit den EU-Staaten und relevanten Institutionen“. Als „adäquate Einschätzung“ bezeichnete er die jüngste Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland durch den Deutschen Bundestag. „Georgien ist ein sicheres Land.“ Als sicher hatte das Berliner Parlament zuletzt auch die Maghreb-Staaten beurteilt.
„Korruption ist ein Erbe des sowjetischen Systems“, sagte Kobachidse. Sein Land sei „ein Pionier“ bei der Bekämpfung der Korruption und habe dabei beachtliche Erfolge erzielt. Neben Wirtschaftsreformen arbeite Georgien jetzt an Reformen des Justizsektors und im Besonderen auch der Gerichtsbarkeit. Die EU hatte Georgien im Vorjahr eine weitere Finanzhilfe (45 Mio. Euro) gewährt, mit Auflagen betreffend Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Im Dezember forderte die EU-Kommission von ost- und südosteuropäischen Staaten mehr Anstrengungen gegen unerwünschte Migration und organisierte Kriminalität, um visumfreies Reisen in EU-Staaten zu gewährleisten.
Mit der Änderung des Wahlsystems ist nach Ansicht Kobachidses ein wichtiger Schritt getan worden, denn die bisherige Direktwahl des Staatspräsidenten habe „starke Mängel“ aufgewiesen, zu Aggressionen und Polarisierung geführt. Ab 2023 soll ein Wahlmännergremium den Präsidenten bestimmen, dessen Kompetenzen laut Verfassungsänderung mehr auf repräsentative Aufgaben reduziert werden sollen.
Auf bilateraler Ebene zeigte sich der georgische Parlamentschef zufrieden über seinen Besuch. Die Eröffnung einer österreichischen Botschaft in Tbilissi 2016 habe den Beziehungen Auftrieb gegeben. „Die Projekte Österreichs sind gut fokussiert“, so der frühere UNDP-Manager (UN-Entwicklungsprogramm). Kobachidse lobte die gute wirtschaftliche Zusammenarbeit, auch bei der Entwicklung der Landwirtschaft. Die Produktivität müsse erhöht werden. Der Tourismus habe sich bereits verdoppelt. Reformen auf dem Bildungssektor hätten Priorität. „Wir streben ein duales System an“; hierbei könnten die Erfahrungen Österreichs hilfreich sein. Georgien ist ein Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA).
Eine Reaktion Georgiens auf den Disput in der Orthodoxie der Ukraine steht noch aus. Die orthodoxe Gemeinschaft Georgiens ist seit 1989 autokephal und (abgesehen von der Armenisch-Apostolischen Kirche in Armenien) die einzige in den ex-sowjetischen Republiken, die nicht dem Moskauer Patriarchat untersteht. Kobachidse sagte dazu, man warte noch auf eine Stellungnahme des georgischen Patriarchen. Erst danach werde es „ein politisches Statement“ von Regierungsseite geben.
(Das Gespräch führte Hermine Schreiberhuber/APA)