Internationale Pressestimmen zur möglichen Brexit-Verschiebung
Wien (APA/dpa) - Zur Abstimmung im britischen Parlament über eine mögliche Verschiebung des Brexits schreiben internationale Tageszeitungen ...
Wien (APA/dpa) - Zur Abstimmung im britischen Parlament über eine mögliche Verschiebung des Brexits schreiben internationale Tageszeitungen am Mittwoch:
„Guardian“ (London):
„Wie Großbritannien ist die Konservative Partei wegen des Brexits gespalten. Theresa May verdrängt diese Tatsache, indem sie die Aussichten von Verhandlungen mit Brüssel über ihr EU-Austrittsabkommen beschönigt. Sie will auf diesem Weg noch bis zum Sommer weitermachen. Dabei wird May den Anschein von Bewegung - ihr Pendeln zwischen London und Brüssel - nutzen, um den Eindruck zu erwecken, dass sie irgendetwas erreicht. In Wirklichkeit wird das zu nichts führen. (...) May sucht nach Änderungen ihres EU-Deals, die bedeutend genug sind, um Tory-Rebellen an Bord zu holen - sowie Labour-Abgeordnete in ihr Lager zu locken -, und die zugleich so unbedeutend sind, dass die EU sie akzeptieren kann. Die Spaltung der Tories wird sie damit nicht überwinden.“
„De Standaard“ (Brüssel):
„Auch die 27 EU-Staaten bezweifeln, dass ein Aufschub eine grundsätzliche Lösung der Brexit-Probleme - in erster Linie die irische Grenzfrage - näher bringen kann. Sie wollen ein Szenario vermeiden, in dem ein Aufschub auf den nächsten folgt. Im Grunde genommen müsste Theresa May einige ihrer roten Linien aufgeben. Um die irische Grenze dauerhaft offen zu halten, müsste Großbritannien nach dem Brexit Mitglied der Zollunion bleiben. Eine Mehrheit der britischen Abgeordneten ist diesem Szenario zugeneigt. Doch dieses entscheidende Zugeständnis hat die Premierministerin noch nicht gemacht.“
„Neue Zürcher Zeitung“:
„May hat die Flucht nach vorn angetreten, nachdem ihr aus den Reihen des eigenen Kabinetts eine offene Rebellion mehrerer Minister drohte, die ultimativ ein Hinausschieben des Austrittsdatums forderten. Es handelt sich in diesem Sinne zunächst um ein Zugeständnis an die Fraktion der Anhänger eines weichen Brexits in den eigenen Reihen. Gleichzeitig wird May aber im Rahmen ihres Mehrfrontenkrieges hoffen, dass sie die Anhänger eines harten Brexits in der Konservativen Partei unter Handlungsdruck bringt.(...) Vor allem aber wurde die Strategie von Theresa May noch einmal deutlicher, das finale und entscheidende Votum immer weiter hinauszuzögern in der Hoffnung, dass die Zeit für sie arbeite. Sie hat jetzt einen taktischen Erfolg erzielt und wird einmal mehr ihrem Ruf als politische Überlebenskünstlerin gerecht. Doch spätestens im Sommer, wenn auch die verlängerte Frist abläuft, wird sie damit endgültig an eine Grenze stoßen.“
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“:
„(...) Ein Verschieben wäre in jedem Fall peinlich: ein Eingeständnis des Unvermögens der britischen Politik, zu einer einheitlichen Haltung zu kommen; was im Grunde ja auch fast unmöglich ist. Für May wäre die Verlängerung ein taktischer Zug, um die Kehrtwende des Labour-Führers Corbyn, der jetzt offen für ein zweites Referendum ist, zu unterlaufen und die Gegner ihres Abkommens unter Druck zu setzen. Was aber sollte in zwei Monaten geklärt werden, was in zwei Jahren zuvor nicht so geklärt werden konnte, dass es im Unterhaus Bestand hätte? Doch zweifellos ist alles, was einen ungeregelten Austritt verhindert, besser als das große Chaos. (...) Westminster - das stand für ein vielfach bewundertes politisches System. Darauf können sich seine Akteure, ehrlich gesagt, nicht mehr viel einbilden.“
„Münchner Merkur“:
„Jetzt will London den Brexit also verschieben, weil weder für Theresa Mays ‚Deal‘ noch für einen ‚hard Brexit‘ parlamentarische Mehrheiten in Sicht sind. Je verzweifelter die Premierministerin und Britanniens ‚Brexiteers‘ im Netz ihrer unerfüllbaren Versprechungen zappeln, desto schwerer fällt es den Rest-Europäern, ihre Schadenfreude zu verbergen. Doch Vorsicht: Auch ihnen wird, wenn das Theater noch lange weitergeht, das Lächeln noch vergehen. Denn während Europa sich zerlegt, schaffen andere Fakten. Trump steht vor einem Sieg im Handelskonflikt mit China. Danach wird er sich Deutschland zuwenden. Die Kanzlerin hätte angesichts der US-Zolldrohungen und des deutschen Null-Wachstums eigentlich allen Grund, das Brexit-Problem lösen zu helfen. Denn danach wird“s erst richtig ungemütlich.“
„Sme“ (Bratislava):
„In der letzten Kurve vor der Zielgeraden hat sich jetzt im Brexit-Szenario ein Aufschub um zwei Monate in die Position einer favorisierten Lösung vorgekämpft. (...) Mit einem Bein drinnen und mit einem draußen zu sein ist der kollektiven britischen Seele wohl die angemessenste Variante, wobei es gegen eine Zollunion nach dem Muster Norwegens nichts einzuwenden gibt. So ist wohl am seriösesten ein Aufschub zum Zweck eines neuen Referendums mit der Frage: Ja oder Nein zu einer Zollunion. Damit würde die Abstimmung vor drei Jahren nicht in Zweifel gezogen oder abgewertet und trotzdem käme auch das ‚Remain‘-Lager auf seine Kosten. Natürlich wären nicht alle völlig zufrieden, aber ein Blick auf Norwegen zeigt, dass so eine Lösung wohl keine Tragödie wäre.“