Gegen das Vergessen: „In die Waagschale geworfen“ von Renate Welsh

Wien (APA) - Man kann nicht behaupten, in Österreich hätte sich während der NS-Zeit eine starke Widerstandsbewegung formiert, die das Ende d...

Wien (APA) - Man kann nicht behaupten, in Österreich hätte sich während der NS-Zeit eine starke Widerstandsbewegung formiert, die das Ende der Nazi-Herrschaft verkürzte. Aber es gab sie, zahlreiche Frauen und Männer, die menschlich handelten, anderen halfen, obwohl sie damit große Gefahr auf sich nahmen. Acht dieser Schicksale erzählte Renate Welsh bereits 1988. Nun erscheinen sie in einer Neuauflage.

Mit dem Jugendbuchklassiker „In die Waagschale geworfen - Geschichten über den Widerstand gegen Hitler“ erweckte die Kinder- und Jugendbuchautorin die Geschichten von acht mutigen Menschen wieder zum Leben, die sich in der Zeit zwischen 1939 bis 1945 trauten, für ihre Überzeugungen einzustehen. Einige von ihnen handelten spontan, wie die gefeierte Volkstheater-Schauspielerin Dorothea Neff. Sie versteckte ihre Geliebte Lilli Wolff, die Jüdin war, dreieinhalb Jahre lang in ihrer Wohnung im ersten Wiener Gemeindebezirk vor den Nazi-Schergen. Sie teilte ihre Essensrationen mit ihr, bestach die Nazi-Hausmeisterin und rettete der Freundin damit das Leben.

Andere wiederum waren auch schon vor dem Anschluss an Hitler-Deutschland politisch als Sozialdemokraten und Kommunisten aktiv und hielten an ihren Grundsätzen auch noch im Konzentrationslager fest. Beispiele sind Karl Flanner und Erich Fein. Sie halfen Kranken, organisierten und schmuggelten Lebensmittel zu anderen Genossen. Flanner versorgte im Freien arbeitende Kameraden mit dicken Pullovern und setzte mit seinen Aktionen sein Leben aufs Spiel.

In den acht kurzen Erzählungen rückt Welsh in ihrer gewohnt realistischen Art die Anspannung und stets drohende Gefahr des nationalsozialistischen Regimes wieder ins Bewusstsein. Sie zeichnet liebevoll die Porträts der genannten Widerstandskämpfer, ohne dabei in irgendeiner Form pathetisch zu werden. Trotz ihres oft kaum nachvollziehbaren Mutes erscheinen die Protagonisten als gewöhnliche Menschen: die Frau von nebenan, der Kollege in der Arbeit, die sich anhand ihrer Fähigkeiten oder Lebensumstände nicht großartig von ihren Mitmenschen abheben. Was sie allerdings auszeichnet, ist ihr Mut. Sie überlegen nicht groß, sondern handeln, wie es ihnen ihr Gewissen vorschreibt, nehmen die große Gefahr in Kauf. Welsh zeichnet sie mit allen Emotionen, der Angst vor Entdeckung, dem Zweifel, der Wut und Enttäuschung, aber auch der Freude.

Die Geschichten sind historisch und biografisch sehr gut recherchiert und werden in prägnanten und informativen Nachträgen in einen biografischen Kontext gesetzt. Dass sie dennoch Fiktion sind, macht die Autorin bereits in der ersten Erzählung über Dorothea Neff deutlich. Dort heißt es: „So ähnlich kann es gewesen sein, oder ganz anders.“ Dennoch oder gerade deshalb erscheint es allerdings befremdlich, dass in der Neuauflage die homosexuelle Liebesbeziehung Neffs zu Wolff, die sicher auch ein Grund für ihr langes Schweigen über das Geschehene war, mit keinem Wort erwähnt wird. Dieses Stillschweigen mag zum Zeitpunkt des ersten Erscheinens zwar noch verständlich sein, wirkt im 21. Jahrhundert aber merkwürdig.

„In die Waagschale geworfen“ ist in Zusammenarbeit mit dem Beirat für das Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 des Bundeskanzleramtes erschienen. Das Vorwort stammt vom ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Am 9. April wird das Jugendbuch im Jüdischen Museum Wien präsentiert.

(S E R V I C E - Renate Welsh: „In die Waagschale geworfen - Geschichten über den Widerstand gegen Hitler“, Czernin Verlag, 120 Seiten, 18 Euro; Lesungen: 14. März, 20.00 Uhr, Riedbergpfarrsaal, Ried i. Innkreis; 19. März, 19.00 Uhr, Buchhandlung Thalia Wien - Mariahilferstraße; 9. April, 18.30 Uhr, Jüdisches Museum Wien)