Kaschmir-Konflikt - Experte: Keine Lösung in Sicht

Srinagar/Berlin (APA) - Der Südasien-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin sieht „kurz- bis mit...

Srinagar/Berlin (APA) - Der Südasien-Experte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin sieht „kurz- bis mittelfristig“ keine Aussichten auf Annäherung zwischen Indien und Pakistan im Kaschmir-Konflikt. Dies sagte Wagner am Donnerstag gegenüber der APA. Die Spannungen in der Region hatten sich in den vergangenen Wochen erheblich zugespitzt.

Pakistans Ministerpräsident Imran Khan rief daraufhin zu Gesprächen auf. Wagner dämpft jedoch die Erwartungen: „Ich denke, der Prozess der Entfremdung zwischen Indien und Pakistan geht weiter. Es ist nicht vorstellbar, dass die indische Regierung auf die Gesprächsangebote Pakistans eingeht.“

Indien habe deutlich gemacht, dass es keine Gespräche mit Pakistan geben wird, solange der Terror in der Region anhalte. Der Ball liege bei Pakistan, etwas gegen terroristische Gruppen wie Jaish-e-Mohammad (JeM) zu tun, erklärte der Politologe vom SWP.

Die islamistische Terrorgruppe hatte den Selbstmordanschlag am 14. Februar im indischen Teil Kaschmirs für sich reklamiert, bei dem mindestens 40 indische Sicherheitskräfte getötet worden waren. Indien griff daraufhin am Dienstag ein mutmaßliches Ausbildungslager der Gruppe an. JeM ist laut Wagner international und auch national verboten.

Mit dem Angriff Indiens auf das Terroristencamp in Pakistan hat das Land nach Einschätzung des Experten die „roten Linien“ im Konflikt verschoben. „Zum ersten Mal seit 1971 gab es einen direkten Angriff auf pakistanisches Staatsgebiet“, so der Experte. Damit habe Indien auch den militanten Gruppen in Pakistan signalisiert, dass sie nicht nur Lager im pakistanischen Teil Kaschmirs, sondern auch auf pakistanischem Staatsgebiet angreifen können. Wagner betonte, dass Pakistan mit seiner Reaktion die Eskalationsstufe weiter angehoben habe.

Die Vorwürfe Pakistans, die USA habe zur Eskalation des Konflikt zwischen den beiden Nuklearmächten beigetragen, entkräftet Wagner: „Indien hätte auf jeden Fall reagiert. Dazu braucht es nicht die USA.“ Pakistan hätte mit dem Vorwurf eine Internationalisierung des Konflikts erreichen wollen. Dies ist nach Ansicht des Experten derzeit allerdings unwahrscheinlich: „Alle Großmächte betonen immer, dass beide Seiten ihre Probleme bilateral lösen sollen.“

Der Indien-Kenner betonte, dass es sinnvoll wäre, wenn Indien seine Politik gegenüber seinen Teilen Kaschmirs ändern würde, um den militanten Gruppen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die aktuelle hindu-nationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi sei jedoch auch angetreten, um den Sonderstatus Kaschmirs in der indischen Verfassung abzuschaffen. „Das hat ein hohes Konfliktpotenzial in der Region, weil die Kaschmiris natürlich an den Sonderrechten festhalten wollen.“

Die Meinung der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung spielt in dem Konflikt offenbar keine Rolle. Laut Wagner hat eine Untersuchung eines indischen Thinktanks vor einigen Jahren ergeben, dass die Kaschmiris die Unabhängigkeit bevorzugen würden. Dies wäre jedoch weder für Indien noch für Pakistan akzeptabel, so der Politologe.

Wagner führte aus, dass eine denkbare Lösung nur darin bestehen könne, den Status quo festzuschreiben. Das hatte man während des Verbunddialogs von 2004-2008 eigentlich schon erreicht. Dies sei eine Phase der Annäherung und damit eigentlich die „beste Phase der indisch-pakistanischen Beziehungen“ gewesen, so der Experte, „aber leider sind die Ideen daraus nie umgesetzt worden“.

In Hinblick auf die im April und Mai anstehenden Parlamentswahlen in Indien sagte Wagner: „Ich denke, Premierminister Modi wird das sicherlich nutzen, um sich als Bewahrer der nationalen Interessen und als Bewahrer der Sicherheit des Landes zu präsentieren.“ Wenngleich er betonte, dass die Auswirkungen unklar seien, „weil außenpolitische Fragen bei Wahlen eigentlich keine Rolle spielen.“

Ein Atomkonflikt ist derzeit laut dem Experten nicht denkbar: „In dem Sinne wirkt die nukleare Abschreckung natürlich.“ Auf strategischer Ebene verhinderten Nuklearwaffen einen konventionellen Krieg, aber dadurch, dass nicht-staatliche Akteure, wie Terrorgruppen weiterhin Anschläge durchführten, gebe es keine dauerhafte Stabilität in den bilateralen Beziehungen, erklärte Wagner.

(Das Gespräch führte Soraya Pechtl)

( 0263-19, 88 x 145 mm)