May sucht Ausweg aus der Brexit-Sackgasse

London (APA/Reuters/AFP/dpa) - Eineinhalb Wochen vor dem geplanten Brexit hat die britische Premierministerin Theresa May versucht, ihre Kri...

London (APA/Reuters/AFP/dpa) - Eineinhalb Wochen vor dem geplanten Brexit hat die britische Premierministerin Theresa May versucht, ihre Kritiker doch noch von dem Austrittsabkommen mit der EU zu überzeugen. Ein weiterer Anlauf für die erforderliche Zustimmung zum Brexit-Vertrag im Parlament sei noch nicht angesetzt, sagte der britische Außenminister Jeremy Hunt am Montag in Brüssel.

Britischen Medien zufolge verdichteten sich die Anzeichen für eine kurzfristige Absage der Abstimmung über das Brexit-Abkommen. Eine Regierungssprecherin wollte eine von Medien kolportierte angebliche Absage der Abstimmung nicht kommentieren. Die Gespräche seien noch nicht abgeschlossen, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Finanzminister Philip Hammond hatte am Sonntag gesagt, May werde eine für diese Woche geplante dritte Abstimmung nur ansetzen, wenn sich eine Zustimmung abzeichne.

Hunt betonte am Montag: „Wir hoffen, dass die Abstimmung stattfindet, aber wir müssen sicherstellen, dass wir ausreichend Unterstützung haben.“ Dies erfordere noch „viel Arbeit“. Er sah allerdings auch „vorsichtige Anzeichen von Ermutigung“. Die Europäische Union erwartet, dass sich Großbritannien über das weitere Prozedere bis spätestens Donnerstag im Klaren ist, denn dann tagen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Staaten-Union EU-Gipfel, um über den Fahrplan zu beraten.

Hunt wies vor dem Hintergrund von zwei Abstimmungs-Niederlagen Mays darauf hin, dass versucht werde, eine Mehrheit für den von ihr und der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag zu organisieren. Derzeit gebe es viele Kontakte mit Kollegen (in der Partei) sowie mit der nordirischen DUP, die die regierenden Tories stützt, sagte der Außenminister.

Der konservative Brexit-Vorreiter und Ex-Außenminister Boris Johnson drängte May, den EU-Gipfel ab Donnerstag zu nutzen, um den anderen Mitgliedstaaten mehr Zugeständnisse abzuringen. „Es wäre absurd abzustimmen, bevor das überhaupt versucht wurde“, schrieb er in der Zeitung „Daily Telegraph“.

Ursprünglich wollte May den Brexit-Vertrag bis spätestens Mittwoch erneut im Parlament einbringen. May hatte vergangene Woche den Brexit-Hardlinern in ihrer konservativen Partei gedroht, sie werde eine lange Verschiebung beantragen, wenn das Austrittsabkommen keine Mehrheit bekomme. Bei einer Annahme wolle sie lediglich eine kurze Verschiebung, um genug Zeit für die nötige rechtliche Umsetzung auf nationaler Ebene zu haben.

Die restlichen EU-Länder müssten sich einstimmig einem Aufschub für die Briten anschließen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich einer Verlängerung nach Aussagen eines Sprechers nicht verweigern. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte einer möglichen Verschiebung des Brexit bereits im Vorfeld seine Unterstützung zugesagt, um ein „No Deal“-Szenario zu verhindern. Die EU ist bei dem Kurs aber nicht geeint: Der französische Präsident Emmanuel Macron etwa steht dem Aufschub skeptischer gegenüber. Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) erklärte am Montag in Brüssel: „Wir haben eine Selbstbeschäftigung seit knapp eineinhalb Jahren, anstatt uns um die wirklich großen Probleme zu kümmern.“ Sie sprach von „einer ganz verfahrenen innerbritischen Debatte“.

Großbritannien könnte nach Ansicht von EU-Insidern bis zum letzten Moment vor dem 29. März eine Verschiebung des EU-Austritts verlangen. Im Prinzip könne der Antrag auf Verschiebung bis „eine Stunde vor Mitternacht Brüsseler Zeit“ eingehen, sagte eine hochrangige EU-Vertreterin am Montag in Brüssel. Die Zustimmung könnte in einem schriftlichen Verfahren erfolgen. Großbritannien tritt nach bisherigem Stand um Mitternacht mitteleuropäischer Zeit am 29. März aus - in London wäre das um 23.00 Uhr.

Vergangene Woche übertrafen im Parlament von Westminster die Gegner des Vertragsentwurfs die Befürworter um 149 Stimmen, bei der ersten Abstimmung im Jänner waren es sogar 230 Stimmen. Allerdings zeigt der steigende Druck Wirkung. Die mit May verbündete DUP, die zehn Abgeordnete stellt, hat sich öffentlich noch nicht festgelegt, ob sie wieder gegen den Vertrag stimmen würden. Insgesamt muss May im Vergleich zur Abstimmung voriger Woche mindestens 75 zusätzliche Abgeordnete dazu bringen, sie zu unterstützen.

Der Riss zwischen Gegnern und Befürwortern von Mays Brexit-Vertrag entzündet sich vor allem an der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland. Einig sind sich alle im Ziel, weitreichende Kontrollen und Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr an der Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden. Die EU pocht jedoch darauf, unter diesen Umständen müsse Nordirland in der Zoll-Union mit der EU bleiben, bis ein Handelsvertrag zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen wird. Dies lehnen viele britische Parlamentarier jedoch ab, denn sie befürchten, dass damit auf unabsehbare Zeit Großbritannien den EU-Regeln unterworfen bleibt.

Der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg rückte von seiner Fundamentalopposition gegen den Ausstiegsvertrag mit der EU ab. „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal, aber ein schlechter Deal ist besser als ein Verbleib in der EU (...)“, sagte der einflussreiche konservative Unterhausabgeordnete im Radiosender LBC.

Sowohl EU-Politiker als auch die meisten Brexiteers wollen einen Austritt ohne Vertrag vermeiden, denn in diesem Fall werden über Jahre gewachsene Handelsbeziehungen abrupt massiven Hemmnissen unterworfen. Gefürchtet wird, dass dies einen wirtschaftlichen Einbruch auslösen könnte. EU-Diplomaten verwiesen zuletzt darauf, dass viele europäische Unternehmen nicht ausreichend auf ein sogenanntes No-Deal-Szenario vorbereitet seien. Zudem fürchten EU-Regierungen, dass ein harter Brexit den Wahlkampf für die Europawahl Ende Mai belasten könnte.

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