Ein Tänzer auf vielen Hochzeiten: Komponist Michael Nyman wird 75

London/Wien (APA) - Michael Nyman war bereits Mitte Dreißig, als er zu komponieren begann. Dann folgte jedoch eine steile Karriere, die ihn ...

London/Wien (APA) - Michael Nyman war bereits Mitte Dreißig, als er zu komponieren begann. Dann folgte jedoch eine steile Karriere, die ihn zu einem der erfolgreichsten Komponisten Englands machte. Ungeachtet eines ausufernden Oeuvres erreichte Nyman seine größte Popularität mit Musik, die von Regisseuren wie Peter Greenaway oder Jane Campion („The Piano“) verwendet wurde. Am 23. März wird der Brite 75 Jahre.

Obwohl Nyman an der Royal Academy of Music Kompositionslehre studiert hatte, schlug der 1944 in London Geborene zunächst nicht den Weg des Profimusikers ein. „Von 1964 bis 1976 schrieb ich nicht eine einzige Note, weil ich mich nicht damit abfinden konnte, serielle Musik zu schreiben“, begründete Nyman 1996 in einem Interview seine lange Schaffenspause mit der Ablehnung der Darmstädter Schule.

Brotlos waren diese Jahre für Nyman allerdings nicht, arbeitete der Brite doch währenddessen als Musikwissenschafter und verwendete 1968 in einer „Spectator“-Kritik für eine junge amerikanische Kompositionsbewegung das erste Mal den Ausdruck „Minimal music“, der sich bald durchsetzte. Damit war ein einendes Label in der Welt, welches das Schaffen von Künstlern wie Philip Glass oder Terry Riley, Steve Reich oder Wim Mertens subsumierte und heute nicht zuletzte auf Nyman selbst angewandt wird - auch wenn er sich wie Kollege Glass mit Händen und Füßen dagegen zur Wehr setzt.

Ansonsten sammelte Nymen Mitte der 1960er-Jahre Volksmusik in Rumänien und veröffentlichte 1974 das bis heute gültige Standardwerk „Experimental Music: Cage and Beyond“. Der Wendepunkt in der Nyman-Biografie kam 1976, als Harrison Birtwistle ihm den Auftrag gab, für eine Produktion von Carlo Goldonis „Il Campiello“ venezianische Lieder des 18. Jahrhunderts zu arrangieren. In seinem zusammengestellten Orchester unter dem Titel Campiello Band kombinierte der Brite unter anderem Schalmeien mit Saxofonen. Aus dieser Formation wurde 1977 die Michael Nyman-Band, für die der Wissenschafter zum Komponisten werden musste, um die Truppe wegen ihrer speziellen Besetzung zusammenzuhalten.

Mit seinem Orchester gelang Nyman bald der Durchbruch auf internationaler Bühne - und im Kino. Er bildete mit dem Regieexzentriker Peter Greenaway über 15 Jahre hinweg eine Kreativfabrik, die mit Arbeiten wie „Der Kontrakt des Zeichners“ oder „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ Erfolge feierte, bis die Freundschaft 1991 zerbrach.

Im Anschluss daran lieferte der Komponist 1993 mit der Musik zum Überraschungserfolg „Das Piano“ von Campion sein kommerziell erfolgreichstes Werk ab, dessen Melodien Nyman bis heute bei Auftritten verfolgen. Hinzu kamen weitere Arbeiten für das Kino wie die Musik zu „Gattaca“ (1997) oder Volker Schlöndorffs „Der Unhold“ (1996). So bewegte sich Nymans Oeuvre immer schon in diesem Spannungsfeld zwischen künstlerischer Kreativität und kommerziellen Zwängen. Sein permanentes Paraphrasieren eigener Werke in barocker Tradition verträgt sich nicht mit der romantischen Vorstellung, ein Kunstwerk müsse als Solitär der Ewigkeit abgerungen sein.

Zugleich reüssierte Nyman auch in den Konzertsälen und Opernhäusern der Welt neben den Tourneen mit seinem Orchester. Seine bis heute meistgespielte Oper ist das Kammerwerk „The Man Who Mistook His Wife For A Hat“ nach einer Fallstudie des Neurologen Oliver Sacks, wobei sich zahlreiche Musiktheaterwerke wie „Man and boy: Dada“ oder „Facing Goya“ anschlossen.

Hinzu kommen zahlreiche Symphonien, Liederzyklen zu Shakespeare und Paul Celan oder Pablo Neruda oder Stücke für Choreografen wie Ashley Page oder Lucinda Childs. Projekte mit indischen oder arabischen Musikern stehen Suiten zu Stummfilmklassikern von Dziga Vertov bis Sergej Eisenstein gegenüber. Und zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Weltkrieges komponierte Nyman ein multimediales Projekt unter dem Titel „War Work“ - ein Werk für Orchester und Alt-Stimme, das von einem Videoessay aus dokumentarischen Aufnahmen flankiert wird.

Schließlich beschränkt sich Nyman, der 2005 mit den MN Records sein eigenes Label gründete, selbst schon lange nicht nur auf das Tonsetzen, sondern ist selbst auch als Kunstfilmer und Fotograf aktiv. Mit seiner Arbeitsweise und Arbeitsauffassung steht der Brite, der mittlerweile in Mexiko-City lebt, eben in der Tradition der barocken Auftragskomponisten - und weist mit bisher beinahe 100 CD-Veröffentlichungen auch ein ähnlich umfassendes Werk auf. Ein durchaus zufriedenstellendes Oeuvre für das erste Dreivierteljahrhundert.

(S E R V I C E: Weiter Informationen unter www.michaelnyman.com)