Großbritannien peilt kurzen Aufschub des Brexit an

Berlin/London/Brüssel (APA/Reuters/dpa/AFP) - Die britische Premierministerin Theresa May wird die Europäische Union Regierungskreisen zufol...

Berlin/London/Brüssel (APA/Reuters/dpa/AFP) - Die britische Premierministerin Theresa May wird die Europäische Union Regierungskreisen zufolge nur um einen kurzen Aufschub des Brexit bitten. Das britische Parlament solle etwas mehr Zeit erhalten, um über einen „Weg nach vorn“ einig zu werden, verlautete am Mittwoch am Amtssitz von Premierministern Theresa May. Medienberichten zufolge geht es um drei Monate.

In Brüssel wurde unterdessen ein von Mays Regierung angekündigter Brief erwartet, in dem sie um eine Fristverlängerung für den eigentlich für den 29. März geplanten EU-Austritt bittet. Mit dem laut der BBC angepeilten Aufschub bis Ende Juni erhofft sich May konkret Zeit, um den von ihr in zähen Verhandlungen mit Brüssel erzielten Ausstiegsvertrag doch noch durch das britische Parlament zu bekommen. Er ist dort bereits zwei Mal durchgefallen. Großbritannien ist auch fast drei Jahre nach dem knapp für einen Brexit ausgegangenen Referendum tief gespalten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rechnet beim EU-Gipfel am morgigen Donnerstag und am Freitag vor diesem Hintergrund nicht mit einem Beschluss zu einer Brexit-Verschiebung. Er erwarte, „dass es diese Woche anlässlich des Europäischen Rates zu keiner Beschlussfassung kommt, sondern dass wir uns wahrscheinlich nächste Woche wiedertreffen müssen“, sagte Juncker am Mittwoch im Deutschlandfunk.

May habe weder in ihrem Kabinett noch im Parlament „Zustimmung zu irgendetwas“, sagte Juncker zur Begründung. „Solange wir nicht wissen, wozu Großbritannien Ja sagen könnte, können wir auch zu keiner Beschlussfassung kommen“. Seine Einschätzung „heute Morgen um Viertel nach acht“ sei daher, „dass wir diese Woche nicht zu Potte kommen, sondern uns nächste Woche noch einmal treffen müssen“, fügte er hinzu.

In Brüssel gibt es Spekulationen über einen Brexit-Sondergipfel in buchstäblich letzter Minute nächste Woche, wenn es beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am morgigen Donnerstag und Freitag noch keine Klärung über das weitere Verfahren beim EU-Austritt Großbritanniens gibt. Über ein solches Sondertreffen müssten die EU-Staats- und Regierungschefs entscheiden, sagte ein ranghoher EU-Diplomat am Mittwoch in Brüssel.

Einen Aufschub des Brexit müssten die anderen 27 EU-Staaten einstimmig billigen. Sie verlangen dafür klare Lösungsvorschläge von London. Dabei wird aber kein prinzipieller Widerstand für eine Brexit-Fristerstreckung erwartet. „Ich kann mir kein Mitgliedsland vorstellen, das gegen die Verlängerung ist. Niemand will Großbritannien hinauszwingen. Wir alle wollen einen geordneten Brexit“, sagte ein Diplomat.

Juncker sagte in dem Radiointerview: „Wir bleiben mit den Briten im Gespräch. Wir befinden uns ja mit Großbritannien nicht im Kriegszustand, sondern im Verhandlungszustand.“ Die Verhandlungen seien aber abgeschlossen, sagte er mit Blick auf den mit May ausgehandelten Austrittsvertrag. Die EU habe sich intensiv auf Großbritannien zubewegt. Es gebe keine Nach- oder Neuverhandlungen und auch keine weiteren Zusatzversicherungen. Die Londoner Regierung müsse nun für Klarheit sorgen. „Mehr geht nicht, das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Wenn jetzt über andere Szenarien gesprochen wird, dann brauchen Sie eine neue Fahnenstange.“

Doch im britischen Unterhaus sei derzeit keinerlei Einigung möglich. Deshalb werde Großbritannien aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht wie geplant am 29. März aus der EU austreten. Die durch einen möglichen Fristaufschub gewonnene Zeit müsse Zustimmung des britischen Parlaments zu den vorliegenden Vertragstexten bringen, forderte Juncker. „Passiert dies nicht und tritt Großbritannien nicht wie vorgesehen Ende März aus, dann sind wir - ich sage das eigentlich nicht gern - in Gottes Hand. Auch Gott hat einen Geduldsfaden, der irgendwann reißt.“

Das britische Unterhaus hatte den Vertrag vergangene Woche zweiten Mal abgelehnt. May wollte ihn eigentlich vor dem EU-Gipfel am Donnerstag erneut zur Abstimmung stellen. Parlamentspräsident John Bercow hatte aber am Montag unter Berufung auf eine Regel aus dem 17. Jahrhundert erklärt, die Regierung könne über eine unveränderte Vorlage nicht erneut abstimmen lassen.

Die EU lehnt Änderungen am Austrittsvertrag ab. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier bot zuletzt aber Änderungen an einer begleitenden politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen an.

Ein langer Aufschub des Brexit-Termins würde dem britischen Bildungsminister Damian Hinds zufolge nicht für mehr Sicherheit sorgen. Solange der Deal nicht abgeschlossen wurde, bleibe weiter das Risiko bestehen, kein Abkommen zu haben, sagt Hinds dem BBC-Radio. Großbritannien strebe trotz einer Terminverschiebung den Austritt aus der EU noch vor Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai an, sagt auch die Parlamentsbeauftragte der britischen Regierung, Andrea Leadsom, dem Radiosender LBC. „Es ist unbedingt erforderlich, dass wir vor den EU-Wahlen aus der EU sind.“

Die Briten hatten bei einem Referendum vor knapp drei Jahren mit knapper Mehrheit für die Trennung von der EU gestimmt. Bei einer längeren Verschiebung müsste Großbritannien an der Europawahl (23. bis 26. Mai) teilnehmen.

„Die Menschen in diesem Land haben fast drei Jahre gewartet. Sie haben es satt, dass das Parlament keine Entscheidung trifft. Und die Premierministerin teilt diese Frustration“, zitierte der britische Nachrichtensender Sky News am Mittwoch eine nicht näher genannte Regierungsquelle. Mit der Entscheidung für eine kurze Verschiebung habe sich May dem Druck ihres Kabinetts gebeugt, schrieb die Zeitung „The Telegraph“.