Christian Sewing - Ex-Banklehrling vor seinem Meisterstück?
Frankfurt (APA/Reuters) - Am Ende hat sich Christian Sewing dann doch dafür entschieden. Fast ein Jahr nach seiner überraschenden Beförderun...
Frankfurt (APA/Reuters) - Am Ende hat sich Christian Sewing dann doch dafür entschieden. Fast ein Jahr nach seiner überraschenden Beförderung zum Chef der Deutschen Bank beginnt der 48-Jährige Fusionsverhandlungen mit der Commerzbank. Ob unter Druck der Politik oder aus eigenen Stücken, wie man bei der Deutschen Bank beteuert, bleibt offen.
Monatelang hat Sewing erst gezögert, dann diskutiert, gestritten, antichambriert, am Ende seine Kollegen im Vorstand des größten heimischen Geldhauses überzeugt - und wohl auch sich selbst. Vom Ausgang der Gespräche hängt für den jüngsten Boss, den die Deutsche Bank je hatte, ab, welchen Platz er für sich in der 150-jährigen Geschichte des Instituts beanspruchen kann: Als Geburtshelfer einer Bank neuer Dimension, der die letzte Chance für eine nationale Konsolidierung nutzte - oder als Totengräber der einst so stolzen heimischen Privatbanken.
Sewing ist Deutschbanker durch und durch. Fast sein ganzes Berufsleben hat der Westfale bei den „Blauen“ verbracht - nach dem Abitur 1989 absolvierte er eine Ausbildung bei der Deutschen Bank in Bielefeld und studierte anschließend berufsbegleitend an den Bankakademie-Außenstellen in Bielefeld und Hamburg. Danach folgten zahlreiche Stationen im In- und Ausland: in Frankfurt, London, Toronto, Tokio und Singapur. Parallel stieg Sewing auf in den Rängen und zahllosen Hierarchiestufen des Konzerns, dem er nur einmal für ein paar Jahre untreu wurde: Als Vorstand bei der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank (DG Hyp). Doch mit Ausbruch der Finanzkrise 2007 zog es den Vater von vier Kindern, von denen drei noch mit der Mutter in Osnabrück leben, zurück zu „seiner“ Bank. Seit April 2018 bestimmt er nun deren Geschicke.
Komplette, arbeitsfreie Wochenenden daheim bei der Familie sind seitdem noch seltener geworden für den Workaholic. Meist muss Sewings sonntags schon wieder ran in Frankfurt. Kaum 24 Stunden ist er dann oftmals daheim, geht mit dem zehnjährigen Rhodesian-Ridgeback-Rüden spazieren oder auf dem Wochenmarkt einkaufen - und das so gut wie unerkannt, obwohl sein Konterfei spätestens seit seiner Ernennung zum CEO Lesern der Wirtschaftspresse gut bekannt sein dürfte. Zweimal hätten ihn Passanten seitdem angesprochen. Ansonsten versucht er das Leben weit weg von den Doppeltürmen der Bank zu genießen, so gut es eben geht. Aus dem Kopf bekommt der Unternehmersohn, der sich entsprechend mehr als Unternehmer und nicht nur als Manager begreift, die Bank aber natürlich nie wirklich.
Fürs Abschalten hilft dem hochgewachsenen Manager das Joggen - einmal am Wochenende ist Pflicht, egal wie eng der Terminplan gestrickt ist. Seit Jugendjahren spielt Sewing Tennis, doch inzwischen findet er immer seltener Zeit für ein Match mit seinen früheren Vereinskollegen. Zu zeitintensiv, um von den kurzen Momenten daheim für Spiel, Duschen und Bierchen danach ein paar Stunden abzuknapsen. Vielleicht zweimal im Jahr gönnt er sich das. Doch Bewegung ist und bleibt wichtig für den Fußball-Fan (FC Bayern), der einst auch mit dem Beruf des Sportjournalisten liebäugelte, sich dann aber für Bodenständigeres entschied und Bankkaufmann wurde - ob auf Anraten oder sanften Druck des Vaters lässt sich nicht mehr zweifelsfrei sagen.
In Frankfurt verbindet Sewing Arbeit und Sport, wann immer sich die Gelegenheit dafür bietet. Beim jährlichen Firmenlauf, bei dem zehntausende Jogger die Straßen der Mainmetropole bevölkern, ist er auch dabei - zusammen mit Deutschbankern jeden Alters und jeder Gehaltsstufe. Ein Chef zum Anfassen, der auch nach einer stundenlangen und meist turbulenten Hauptversammlung noch Selfies mit Azubis in der Frankfurter Festhalle zulässt. Oder mit Kollegen in einer Filiale irgendwo in Deutschland. Drei Jahre hat Sewing selbst, vor langer Zeit, hinter dem Schalter gestanden. Eine Zeit, auf die er bis heute stolz ist und eine Erfahrung, die ihn erdet, wenn er in den Glastürmen der Bank inzwischen über das Wohl und Wehe seiner ehemaligen Kollegen entscheidet. Das merkt man ihm an.
Für die jungen Deutschbanker ist Sewing - das weiß er selbst ganz genau - ein Vorbild und der lebende Beweis, dass man es schaffen kann vom Lehrling zum Chef von 90.000 Mitarbeitern. Von diesen wird er aber, sollten die Gespräche mit der Commerzbank zum Erfolg führen, Tausende, wahrscheinlich eher Zehntausende entlassen müssen. Dass er vor Entscheidungen dieser Dimension nicht zurückschreckt, hat er schon gezeigt. Bei der Integration der Postbank, seinem Gesellenstück, wurden und werden immer noch zahlreiche Filialen geschlossen und Tausende Jobs gestrichen. Und dennoch gab und gibt es Leute, die an seiner Eignung für den Top-Job und an seiner Fähigkeit zweifeln, die Fusion mit den „Gelben“ einzutüten und hart durchzugreifen.
Manch enge Weggefährten und ehemalige Mitarbeiter sehen in Sewing nicht den visionären Vordenker, sondern den knallharten Arbeiter, den 80-Stunden-pro-Woche-Malocher ohne Charisma, der im Zweifel vor Aufsichtsratschef Paul Achleitner eher kuscht als ihn herausfordert. „Er füllt den Spielraum, den er hätte als Vorstandschef, nicht aus und lässt anderen zu viel Raum“, heißt es kritisch auch von Seiten eines Großaktionärs. Dennoch wissen die oft zerstrittenen Anteilseigner der Bank genau, was sie an Sewing haben. Im Gegensatz zu seinen glücklosen Vorgänger, dem Briten John Cryan, ist Sewing offenbar klarer, dass er seine wichtigsten Geldgeber bei Laune halten muss, will er seine Position absichern. Das gilt erst recht, wenn er sie am Ende - trotz aller Skepsis in ihren Reihen - von einer Fusion mit der Commerzbank überzeugen muss.
Sewing ist sehr diszipliniert, ein Pragmatiker und kein Überzeugungstäter. Er mag deshalb langweilig wirken. Aus Sicht von Aktionärsschützern wie Klaus Nieding von der DSW ist er aber gerade deshalb die Idealbesetzung für die Spitze der Bank und perfekt aus Sicht der leidgeprüften Anteilseigner: „In der aktuellen Situation der Deutschen Bank braucht es weniger Visionen, als vielmehr harten Realismus und einen Anpacker, der die Probleme löst. Ich bin als Aktionärsvertreter heilfroh, dass nicht wieder irgendwelchen Visionen hintergelaufen wird, das hat uns in der Vergangenheit viel Geld gekostet.“
Intern gilt Sewing elf Monate nach seinem Amtsantritt als Sparkommissar, als Pfennigfuchser: Er und sein Finanzvorstand James von Moltke haben den verwöhnten Deutschbankern einen Sparkurs verordnet, der sich gewaschen hat. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Chef sei es gewesen, dass bei den regelmäßig dienstags stattfindenden Sitzungen des Vorstands jedes Mitglied ausführlich Bericht erstatten muss, wie es mit den beschlossenen Einsparungen in seinem Bereich steht, berichten zwei Insider, die nicht namentlich genannt werden wollen. Erst danach geht es um Strategiethemen.
Sewing kann mehr als nur sparen, das räumen selbst seine schärfsten Kritiker ein. Und er hat eine Eigenschaft, die ihm sicherlich in seiner Chefrolle gut zupass kommt: Er ist zäh. „Er ist ein Tennisspieler. Und auch ein ziemlich Guter“, sagt ein langjähriger Weggefährte. „Er schlägt den Ball so lange zurück, bis er das bekommt, was er will.“ Andere, die ihn gut kennen, loben seine Bescheidenheit. Bei einer seiner ersten internen Veranstaltungen mit Führungskräften nach seiner Beförderung zum Vorstandschef soll er augenzwinkernd auf die Frage, wie er sich nun fühle und was er nun tun werde, geantwortet haben: „Ich denke, ich brauche jetzt einen neuen blauen Anzug.“ Das kann zur Schau getragenes Understatement eines Managers sein - oder ganz einfach ehrlich.
Fest steht: Seit Sewing auf dem Chefsessel bei der Deutschen Bank Platz genommen hat, sind die Bande in die Politik und in die Bundesregierung deutlich enger geworden als das unter seinen Vorgängern John Cryan und Anshu Jain der Fall war. Das mag zum einen daran liegen, dass man es in Berlin schätzt, wenn ein Top-Manager einer solch wichtigen Institution wie der Deutschen Bank auf Deutsch parliert. Zum anderen dürfte es an Sewing selbst liegen. Denn auch wenn ihn der Druck, den der deutsche Finanzminister Olaf Scholz zuletzt in Sachen Commerzbank-Fusion entfaltete, genervt hat, weiß er, dass er sich den Wünschen der Regierung nicht gänzlich verweigern kann.
Er selbst hält sich zu dem Top-Thema am Finanzplatz bedeckt. Wer erspüren will, ob er denn eine Fusion mit der Commerzbank wirklich für eine so gute Idee hält, ist auf den Brief an seine Mitarbeiter angewiesen, in dem er die offiziellen Verhandlungen über einen Zusammenschluss begründete. Keine Zeile Begeisterung. Aber viele Zweifel, ob es klappt. Das kann Taktik sein, muss es aber nicht. Am Ende wird Sewing sich ganz alleine entscheiden müssen, ob er das große Ding mit der Commerzbank wagen will oder dem Drängen von Scholz und Achleitner nicht nachgibt - mit allen Konsequenzen. Würde der Deal am Ende aber ein Erfolg, dann hätte der sportbegeisterte Junge aus Bünde in Ostwestfalen 30 Jahre nach der Banklehre wohl sein Meisterstück abgeliefert.
~ ISIN DE0005140008 DE000CBK1001 WEB https://www.deutsche-bank.de/index.htm
https://www.commerzbank.de/ ~ APA506 2019-03-20/17:35